"lady w." - Eine Kurzgeschichte von Nick Evans (01.03.2010)

Mein Name ist Hammer. Mike Hammer. Nein, natürlich habe ich nichts mit der gleichnamigen Romanfigur zu tun. Aber sicher hat mich die Namensgleichheit bei meiner Berufswahl nicht unwesentlich beeinflußt.

Ich bin Privatdetektiv. Ich brauche sicher niemandem zu erzählen, was meine Mutter von meinem Job hält. Mein Vater hat es nicht mehr miterlebt. Er ist bereits vor siebzehn Jahren gestorben. Damals war ich gerade vierzehn. Soweit ich mich noch erinnere, habe ich damals nicht sehr gelitten.

Mein Vater war ein Kackfrosch. Ist dauernd in der Weltgeschichte rumgereist; auf Bohrinseln im Atlantik, Ölfeldern im Iran, was weiß ich. Jedenfalls hat er 'ne Menge Kohle nach Hause gebracht. Ein Kackfrosch war er trotzdem. Wenn er mal da war, hat er sich einen Scheißdreck um uns geschert und lieber meine Mutter mit seinen ganzen Nutten betrogen.
Ich hab' ihn nicht vermißt, wenn er weg war. Nicht mal, wenn er da war. Und als er zu seiner letzten großen Fahrt über den Jordan antrat, hatte ich ihn schon vergessen, noch ehe er richtig weg war.

Natürlich ist das die Version, wie ich es heute in Erinnerung hab'. Aber in groben Zügen war es wohl so. Jedenfalls hätte es mich nicht interessiert, wie mein Vater über meinen Job denkt.

An dem Tag war nichts los im Büro, und ich hatte gerade erst vor zwei Tagen den Entführungsfall Jenna Hooks erfolgreich abgeschlossen. Ihr Vater, ein stinkreicher Baulöwe aus Texas, hatte mich beauftragt, als Mittelsmann die Verhandlungen mit den Kidnappern zu führen. Mein Ruf, in der Lage zu sein, Verhandlungsgeschick mit kompromißloser Härte in einen Konsens bringen zu können, hatte sich also schon über die Grenzen Louisianas hinweg herumgesprochen.

Also ich hatte die Verhandlungen führen sollen. Nichts weiter. Aber ich hatte mehr als das getan: ich hatte die Kleine da auf eigene Faust rausgeboxt, die Verbrecher überführt und sie dann der Justiz übergeben. Für den alten Hooks war ich danach ein Held gewesen. Nun, vielleicht hatte ich es ja wirklich. So was wie Heldenmut im Blut. So oder so hatte ich jetzt 20.000 $ mehr auf dem Konto. Ich brauchte an dem Tag nichts mehr arbeiten. Wenn die Zeitungen den Fall erstmal breit genug getreten hatten, würden mir die Klienten noch früh genug die Bude einrennen. Ich würde mir eine Sekretärin anschaffen müssen. Demnächst.

Ich ging die zwei Blocks rüber in die Magazine Street ins Liborio und hoffte, dort Donnie zu treffen. Donnie hatte mir zu dem Fall einige nützliche Tips gegeben, und mir war danach, mich bei Sangria und einer Portion Sailor's Rice erkenntlich zu zeigen. Donnie war als Informant für mich schon einige Male von unschätzbarem Wert gewesen. Ich mußte ihn mir warm halten.
Er war nicht da. Das war schade. Für ihn. Also nur Sangria und Meeresgetier für mich.

Ich beendete gerade mein Essen, als ich die junge, schwarzgekleidete Frau am Tresen bemerkte. Man brauchte kein Detektiv zu sein, damit sie einem auffiel.
Die Luft knisterte förmlich. Wie ich später feststellte, waren das die Mücken, die in den zahlreichen Insektenfallen zerplatzten. Trotzdem nahm ich meinen Drink und ging zu ihr hinüber an den Tresen.

„Hi“, sagte ich. „Ich hab' Sie hier noch nie gesehen.“ Ich zog den benachbarten Barhocker zu mir ran und setzte mich.

„Das is' ja mal 'ne originelle Anmache“, ätzte sie und drehte mir den Rücken zu.

„Das war wohl nicht so toll, oder!?“

„Na, wenigstens scheinen Sie nicht vollkommen bescheuert zu sein.“

Zumindest in dem Punkt waren wir uns schon einig. Ich startete also einen zweiten Versuch.

„Und Sie scheinen eine ganz gute Menschenkenntnis zu besitzen. Also, wie sieht's aus? Geben Sie mir noch 'ne Chance? Ist eigentlich echt nicht meine Art, mich so dämlich anzustellen. Ich gehe sonst weitaus subtiler vor, wenn mir eine Frau gefällt".

„Da bin ich jetzt aber gespannt“, sagte sie in leicht verächtlichem Ton.

„Tut mir leid“, sagte ich. „Aber Sie werden von mir keine hochgeistigen Ergüsse erwarten dürfen. Denn in dem Moment, als ich Sie sah, hat mir Ihre Schönheit den Verstand geraubt. Ich werde mich jetzt in mein Schneckenhaus zurückziehen, versuchen, meine Gedanken zu ordnen und vielleicht ein wenig davon träumen, der Mann am Tresen sein zu dürfen, der Ihnen für den Rest seines Lebens zur Seite steht oder einfach nur zu Füßen liegt.“

„Puh“, lachte sie, und es war das mit Abstand bezauberndste Lachen, das ich je an einer Frau gesehen hatte. „Das war… ich weiß nicht. Ziemlich o.k. für jemanden, der gerade vor zwei Minuten erst den aufrechten Gang gelernt hat. Ich bin beeindruckt, Mr …“

„Hammer.“

„O ja, das sind Sie sicher.“

Ich fragte, was sie trinken wollte und bestellte zwei Whisky. Sie trank ihren pur und ex. Genau wie ich. Das gefiel mir.

Sie drehte sich zu mir um, und ich konnte sie genauer in Augenschein nehmen. Sie war eine ausgesprochene Schönheit: langes, schwarzes Haar, das bis zu ihren wohlgeformten Pobacken reichte. Sie hatte slawische Gesichtszüge mit leicht erhöhten Wangenknochen und vollen Lippen. Ihre Zähne waren weiß, wie die Schaumkrone auf einem frisch gezapften Lagerbier. Ihre langen Beine und das, was ich durch die dünne Bluse von ihren Brüsten sehen konnte, waren makellos. Aber das Irrste an ihr waren zweifellos die Augen. Ich hatte noch nie solche tiefbraunen Augen gesehen. Sie schienen in irgendeiner Flüssigkeit zu schwimmen, die nur eine Nuance heller war. Es war, als ob sie sich in Wellen ständig bewegten, wie die Oberfläche eines Sees, in den man einen Stein warf.

„Bist eigentlich 'n ganz niedlicher Typ“, sagte sie mit ihrer dunklen, rauchigen Stimme. „Ich schätze, ich werd' mich deiner annehmen, Hammer.“

Ich wußte nicht genau, wie sie es meinte, aber ich hätte mir kaum etwas Erstrebenswerteres vorstellen können, als daß dieses zauberhafte Geschöpf sich meiner – in welcher Weise auch immer – annahm. Ich war ein Glückskind. Und geschissen auf alles, was in meinem Leben hinter mir lag.

„Was machst'n so, Hammer?“ wollte sie wissen.

„Wirst es kaum glauben“, war ich überzeugt.

„Doch“, widersprach sie. „Werd' ich.“

„Ich bin Privatdetektiv“, eröffnete ich ihr. „Mit der Lizenz zum Ladykillen.“

„Wohl eher mit der Lizenz zum Nervtöten.“

„Tut mir leid. Bin etwas aufgekratzt. Aber das mit dem Privatdetektiv stimmt.“

„Na, so einen hatte ich jedenfalls noch nicht im Bett.“

Ich schluckte. Hatte sie da gerade was vom Bett gesagt? Ich wußte, daß ich einen Schlag bei Frauen hatte. Aber normalerweise war ich derjenige, der das Spiel irgendwann in die entsprechende Richtung lenkte. Es machte mir beinahe ein wenig Angst. Aber eben nur beinahe. Dennoch schien ihr der Hauch von Unsicherheit, der mich für einen Augenblick gefangen hielt, keineswegs entgangen zu sein.

„Angst bekommen?“ Sie hatte einen Schlüsselbund aus ihrer Handtasche gezogen und fuchtelte mir damit vor der Nase rum.

„Angst wovor? Wovor sollte ich denn Angst haben? Vor einer wunderschönen Lady, die mich in ihr Lotterbettchen lotsen will? Nein, ich glaube nicht, daß ich davor Angst habe. Sollte ich?“

„Nicht davor. Auf wen oder was du dich eingelassen hast, davor solltest du dich fürchten. Aber dazu ist es bereits lange zu spät. Du bist bereits von mir infiziert, und wen ich einmal in meinen Fängen habe, den lasse ich nie mehr los.“

Die Kleine hatte eindeutig eine Macke. Aber vor allen Dingen hatte sie recht. Und so wie sie aussah, konnte sie sich auch eine Macke leisten. Egal, wie ausgewachsen sie auch sein mochte.

Ich zahlte unsere Drinks, und wir fuhren in ihrem Wagen zu ihr nach Hause. Ich ließ meinen alten Dodge vor der Bar stehen. Ich konnte ihn morgen noch abholen. Ich brauchte keine Angst haben, daß ihn jemand stehlen würde. Den würde niemand stehlen. Nicht für lange.

Sie schloß die Tür auf und führte mich direkt in ihr Schlafzimmer. Sie hatte einen kleinen Tisch am Fenster stehen mit einer altmodischen Stehlampe darauf. Es war schon dunkel draußen, und sie knipste die Lampe an. Ich setzte mich an diesen kleinen Tisch, und sie ging in die Küche. Ich hörte ihre hohen Absätze auf dem Parkett klappern. Nach einer Weile kam sie wieder mit zwei Flaschen. Für jeden eine. Sie stellte sie beide auf den Tisch und setzte sich. Keine Gläser. Wir blieben bei Whisky.

Sie trank und erzählte. Ich trank und hörte zu. Sie redete von Krieg und Armut, Haß und Verzweiflung und Tod und daß man die ganze Welt in einem Meer aus Whisky ersäufen müsse. Ich hörte zu und trank. Aber je länger ich ihr zuhörte, desto weniger Sinn schien mir das, was sie erzählte, zu ergeben. Und war es nicht so, daß ihre Augen immer mehr verschwammen? Verdammt, was war das für ein lausiges Gesöff? Und warum wich sie ständig meinen Fragen aus? Zum Beispiel der nach ihrem Namen?

Statt dessen küßte sie mich plötzlich, und ihre Augen verschwammen immer mehr, wurden heller. Ihr Kuß schmeckte heiß und scharf. Sie zog mich zum Bett, warf mich darauf und legte sich auf mich, während sie nicht abließ, mich zu küssen. Mir drehte sich alles. Alles vor meinen Augen zerlief zu einer hellbraunen, wäßrigen Masse, und ich versuchte, mich von ihr loszureißen. Aber diese Arme waren überall; hielten mich fest, krochen über mich hinweg und grinsten mir feist ins Gesicht, um schließlich in mich hineinzukriechen und mich langsam von innen aufzufressen.



„Meine Güte, stinkt das hier. Reiß doch mal einer das Fenster auf“, brüllte Sergeant Stacey in die Runde, während er sich ein Taschentuch vor die Nase hielt.
„Wie lange liegt der Kerl denn hier schon rum?“ fragte er den Officer neben sich, der auch das Aufräumkommando über Funk verständigt hatte.

„Keine Ahnung. Da müssen wir auf die Autopsie warten. Aber der Hausmeister sagt, daß die Nachbarn sich schon seit einigen Tagen über den Gestank im Treppenhaus mokiert hätten.“

„Und warum sind wir dann erst jetzt… WÜRDE ROTZVERDAMMICHNOCHMAL ENDLICH EINER EIN FENSTER ÖFFNEN? Wo war ich? Ach so, ja: warum hat uns vorher keiner gerufen? DANKE!“

„Na ja, sie dachten wohl an Ratten oder so was in der Art. Und außerdem würden die Simbabwes aus 401 auch immer so komisches Zeug kochen.“

Sergeant Stacey hatte bereits die Küche gesehen. Daher wunderte er sich auch nicht über die etwa siebzig leeren Whisky-Flaschen, die im ganzen Schlafzimmer wie Dominosteine aufgereiht standen.

„Was wissen wir denn noch von ihm, außer daß er offensichtlich ein überzeugter Trinker war?“ fragte er den Officer, der sofort seinen Notizblock zückte.

„Mike Hammer; Alter: 31; arbeitsloser Staubsauger-Vertreter aus Jersey; geschieden; zwei Kinder, die bei der Mutter leben. Er selbst wohnt hier seit knapp zwei Jahren. Ist seit Wochen nicht mehr aus der Bude raus. Hat sich alles vom gegenüberliegenden Supermarkt liefern lassen. Keine Freunde. Die Nachbarn sagen, er war schon immer ein Sonderling gewesen. Hat ständig Selbstgespräche geführt. Von wegen, was für ein Hecht er wäre und so. Als seine Frau weg ist, hat er dann wohl völlig am Rad gedreht. Die ersten Untersuchungen der Spurensicherung haben keine Anzeichen auf Fremdeinwirkung ergeben. Das ist bisher alles“, beendete der Officer seine Ausführungen.

„Hm, gut“, sagte Stacey. „Ich sehe, Sie kommen hier alleine zurecht. Ich würd' mich hier gern noch ein wenig umsehen.“

Stacey war geschafft. Er hatte keine Lust, sich auch noch um die Schicksale von irgendwelchen armen Säufern zu kümmern. Er verließ das Schlafzimmer, ging durch den angrenzenden Flur zur Wohnungstür und zog sie hinter sich zu.




Der Abdruck von „lady w.“ erfolgte mit freundlicher Genehmigung von: Verlag Frieling & Partner GmbH, Berlin.
„lady w.“ ist eine von insgesamt 17 Kurzgeschichten aus
VIP-very impertinent people - Stories von Leben und Tod von Nick Evans, 160 Seiten, Taschenbuch, erschienen bei Frieling & Partner GmbH, Berlin.

SÄMTLICHE RECHTE LIEGEN BEIM FRIELING-VERLAG BERLIN. (Seit 2013 wieder bei Nick Evans - Anm. BlogMod.)



vip




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