DIE ULTIMATIVE WAFFE - eine Kurzgeschichte von FRIENDS (25.03.2010)

Ich hatte mich gerade erst richtig eingearbeitet. Wenige Wochen zuvor war ich als Partner meines Vaters in dessen Geschäft eingestiegen. Wir importierten und verkauften europäische Luxuskarossen. Da tauchte diese junge Frau bei uns im Geschäft auf. Sie sah einfach hinreißend aus, in ihrem superkurzen roten Minirock und den dazu passenden High Heels. Ich ließ es mir nicht nehmen, sie höchstpersönlich zu beraten. Und während ich mich auf den ersten Blick unsterblich in diese Frau verliebte, hatte es ihr ganz offensichtlich ein farblich zu ihrem reizenden Outfit passender Ferrari-Testarossa angetan. Daß es sich bei dem Fahrzeug um das teuerste Gefährt der aktuellen Angebotspalette handelte, beeindruckte die Lady nur unwesentlich.

Nachdem sie mir einen größeren Nachlaß abgerungen hatte, als ich ursprünglich einzuräumen bereit gewesen war, legte sie den Kaufpreis für das noble Gefährt bar auf den Tisch. Ich sagte ihr daraufhin zu, sämtliche Formalitäten im Zusammenhang mit dem Fahrzeugkauf für sie abzuwickeln und ihr den Wagen samt roter Schleife am Folgetag für sie kostenfrei persönlich vor ihrer Haustür anzuliefern. Ihrer Wirkung auf mich durchaus bewußt, schenkte sie mir beim Abschied ein besonders verführerisches Lächeln und ich konnte in der darauf folgenden Nacht kein Auge zutun.

Als ich am nächsten Tag den Ferrari wie versprochen abgeliefert hatte, nahm ich meinen ganzen Mut zusammen und fragte Chloe, so hatte sie sich mir vorgestellt, ob sie einmal mit mir essen gehen würde. Allzu große Chancen rechnete ich mir dabei nicht aus, doch wider Erwarten nahm sie meine Einladung an.

Während eines romantischen Abendessens bei Kerzenschein im feinsten Restaurant der Stadt, eröffnete Chloe mir, daß sie selten zuvor einen so netten Kerl wie mich getroffen hätte. Ich konnte mich des Eindruckes nicht erwehren, daß sie mit mir spielte. Es war für Chloe nicht zu übersehen, daß ich mich seit unserem ersten Zusammentreffen geradezu nach ihr verzehrte. Während Chloe wahrscheinlich nur mit dem Finger schnippen brauchte, damit ihr jeder Mann, von dem sie es wünschte, sofort zu Füßen lag, kategorisierte ich mich selbst eher als Durchschnitts-Typ ein. Wenn auch guter Durchschnitt.

Nie zuvor hatte ich eine Frau wie Chloe kennengelernt. Die Art, wie sie mich mit ihren grünen Katzenaugen immer wieder ansah, raubte mir mit der Zeit nicht nur den Verstand, sondern machte mich auch vollkommen blind.

Wir verabredeten uns über zwei Monate hinweg in lockeren Abständen, ohne daß es auch nur zum geringsten Austausch irgendwelcher Zärtlichkeiten gekommen wäre. Wäre es nach mir gegangen, hätten wir uns jeden Tag gesehen. Aber irgendwann meinte Chloe eher beiläufig, daß ihre geschäftlichen Termine ein häufigeres Zusammentreffen nicht möglich machen würden. Ich traute mich nicht genauer nachzuhaken und gab mich mit der Begründung wohl oder übel zufrieden.

Eines Abends gingen wir wieder einmal gemeinsam aus. Chloe hatte einige Cocktails getrunken, so daß sie nicht mehr in der Lage war, selbst nach Hause zu fahren. Sie bat mich darum dies zu tun, da sie den Ferrari nur ungern vor dem Club, in dem wir uns amüsiert hatten, stehen lassen wollte. Natürlich war es mir nicht möglich, ihr diese Bitte abzuschlagen. Ich hätte sie sogar nach Hause getragen, wenn sie mich darum gebeten hätte.

Bei Chloe zu Hause angekommen fragte sie mich, ob ich noch auf einen Kaffee oder etwas Stärkeres mit nach oben kommen wollte. Dabei legte sie die Betonung kaum merklich auf etwas Stärkeres. Bisher hatte Chloe augenscheinlich nur hin und wieder das Bedürfnis gehabt festzustellen, daß ich nicht mein Interesse an ihr verloren hatte. Und ich genoß dafür jede Sekunde ihrer Gesellschaft. Daß sie mich nun fragte, ob ich noch Lust hatte, sie in ihre Wohnung zu begleiten, kam mir einer Offenbarung gleich.

"Ich kann dich in dieser Verfassung ja wohl kaum alleine die paar Meter zur Wohnungstür gehen lassen", bemerkte ich süffisant, woraufhin sie nur erwiderte

"Wenn du meinst" und aus dem Wagen stieg.

Ich befürchtete, daß Chloe es sich mit der Einladung doch noch einmal überlegen könnte und sprang ebenfalls aus dem Fahrzeug. Noch bevor ich sie einholen konnte, drehte sie sich nochmals um.

"Weißt du was, Lance?"

Alles Klar, Mann. Du hast es wieder verbockt, schoß es mir unvermittelt durch den Kopf.

"Tu' mir bitte noch einen Gefallen, und fahr' den Wagen in die Tiefgarage. Nicht, daß mir noch irgend so ein Penner den Lack an meinem Ferrari ruiniert."

Ich wäre vor Erleichterung fast in die Luft gesprungen. Sollte das etwa doch noch mein Abend, meine Nacht werden?

"Chloe, ich bitte dich. Penner!? Welch hartes Wort aus solch einem entzückenden Mund."

Chloe zuckte mit den Schultern und machte mit einem Anflug von Verächtlichkeit kommentarlos auf dem Absatz kehrt. An der Haustür angekommen, rief sie mir dann noch zu

"Der kleine Schlüssel an dem Etui ist für den Fahrstuhl. Nach rechts drehen und auf P drücken. Ich mache uns in der Zwischenzeit einen Drink fertig."


Als ich mit dem Fahrstuhl endlich Chloes Wohnung erreichte, bekam ich zunächst den Mund nicht mehr zu. Das P stand für Penthouse, da hätte ich auch selbst drauf kommen können. Bei diesem Objekt handelte es sich um ein architektonisches Meisterwerk und von der Straßenseite des Gebäudes war nicht zu erkennen gewesen, daß es über eine solche Wohnung verfügte. Was die Einrichtung der Penthouse-Wohnung anbetraf, so hatte alleine diese mindestens den Wert des Fahrzeugs, welches ich wenige Minuten zuvor in der Tiefgarage abgestellt hatte.

"Komm doch rein. Ich bin hier hinten!"

Ich vernahm Chloes Stimme, konnte sie aber noch nicht sehen, da die Anordnung der Räumlichkeiten etwas verwinkelt war. Nachdem ich daraufhin das Wohnzimmer, den, wie ich später feststellen sollte, bei weitem größten Raum der Wohnung betreten hatte, brauchten meine Augen eine kurze Zeit, um sich auf die vorherrschenden Lichtverhältnisse einzustellen.
Die Deckenleuchten verbreiteten ein diffuses rötliches Licht und nach einer Weile konnte ich auch Chloe erkennen. Sie hatte auf einem dekadenten Ledersofa Platz genommen, das im Vergleich zu dessen Dimensionierung die meisten Lotterbetten wie lächerliche Pritschen aussehen ließ.

Die makellosen Beine übereinander geschlagen, in bei ihr nicht mehr wegzudenkenden High Heels, in halterlosen Strümpfen aus feinster Seide und einem Hauch von Nichts, einem Negligé, das mehr von ihren perfekten weiblichen Rundungen offenbarte, als daß diese davon bedeckt wurden. In beiden Händen hielt sie je ein Cocktailglas mit unterschiedlichem Inhalt, lächelte mich mit ihrem süßen Puppengesicht an und sagte zu mir:

"Ich war mir nicht ganz sicher, wonach dir jetzt sein würde. Du hast die freie Auswahl."

So zweideutig Chloe das gemeint haben mochte, ich hatte es ebenso verstehen wollen. Ohne auch nur einmal an unseren Cocktails zu nippen, fielen wir wie ausgehungerte Raubtiere übereinander her und liebten uns die ganze Nacht mit unbeschreiblicher Leidenschaft. Glücklicher als in dieser Nacht bin ich weder zuvor noch danach je wieder gewesen.


Nach dieser wundervollen Nacht mit Chloe änderte sich ihr Verhalten mir gegenüber schlagartig. Während ich davon ausgegangen war, daß ab dieser Nacht alles zwischen uns so sein würde, wie ich mir das gewünscht hatte, trat das genaue Gegenteil davon ein.

Bereits am folgenden Morgen drängte Chloe mich schon sehr früh zu gehen. Kein gemeinsames Frühstück, nicht einmal eine Tasse Kaffee für mich. Als Grund hierfür gab sie einen wichtigen, nicht mehr aufschiebbaren Geschäftstermin vor, den sie angeblich fast vergessen hätte. Sie sagte zu mir

"Es war letzte Nacht sehr schön mit dir, Lance. Aber bitte geh' jetzt, sonst schaffe ich meinen Termin nicht mehr. Wenn ich wieder da bin, rufe ich dich an. Ganz bestimmt."

Ich hätte gerne darauf geantwortet. Doch zugleich befürchtete ich, meine Freundin damit nur unnötig zu verärgern und das wollte ich keinesfalls riskieren. Resigniert hauchte ich Chloe einen Kuß auf die Wange und ging, ohne ein weiteres Wort zu verlieren.


Danach versuchte ich tagelang, sie zu erreichen. Doch entweder ging sie nicht ans Telefon, oder sie war tatsächlich nicht zu Hause. Ich fuhr auch mehrmals an ihrer Wohnung vorbei, hielt dort an und klingelte. Vergeblich.

Schließlich begann ich damit, meine Arbeit im Büro sträflich zu vernachlässigen. War kaum noch dort anzutreffen. Und wenn doch, dann nur für kurze Zeit. Ich war unkonzentriert und einige potentielle Kunden hatten sich bereits über die unqualifizierte und unfreundliche Beratung beschwert.
Das führte dazu, daß ich mich unnötigerweise auch noch mit meinem Vater überwarf. Der stürmte eines Tages wutentbrannt in mein Büro und brüllte:

"Ich habe dich nicht zu meinem Partner ernannt, damit ich hier alles alleine machen muß und du mir kaputt machst, was ich aufgebaut habe!"

Bevor ich etwas entgegnen konnte, war mein Vater auch schon aus der Tür. Nicht, ohne diese zuvor heftig und wahrscheinlich noch für die Nachbarn unüberhörbar ins Schloß geknallt zu haben.
Beleidigt verließ ich daraufhin mein Büro. Lediglich, um mir in der nächstgelegenen Bar einen hinter die Binde zu gießen.

Drei Wochen später, ich kam seither kaum noch aus dem Zustand eines Dauerdeliriums heraus, landete ich spät abends wieder einmal in einer Bar. Es war ein wirklich exklusiver Schuppen und ich wollte dort das fortsetzen, was ich in den vergangenen Wochen getan hatte. Mich sinnlos betrinken.

Als ich die Bar schon leicht angetrunken betrat, fiel mir gleich die Frau an dem Tisch auf, der sich im hintersten Winkel des Etablissements befand. Es war unzweifelhaft Chloe, die sich sehr angeregt mit irgend so einem feisten Popanz unterhielt.
Sie hatte mich selbst noch nicht entdeckt. Und obwohl ich liebend gerne zu dem Tisch gelaufen wäre, an dem die beiden sichtlich fröhlich miteinander rumalberten, diesen Schönling am Kragen gepackt, mit ihm den Boden aufgewischt und ihn danach aus der Bar getreten hätte, um im Anschluß daran Chloe zur Rede zu stellen, konnte ich mich noch gerade so eben beherrschen. Ich entschied mich dazu, vor der Tür auf die beiden zu warten.
Abzuwarten, was geschehen würde.

Ich mußte dann Stunden im Auto ausharren und im Morgengrauen kamen die beiden endlich Arm in Arm und lachend heraus.
Chloe stieg mit dem Typ in ein Taxi und ich folgte ihnen unauffällig. Vor ihrer Wohnung hielt das Taxi schließlich an. Ich befürchtete bereits das Schlimmste. Aber Chloe stieg alleine aus, das Taxi mit ihrem Begleiter fuhr weiter.
Kaum, daß meine Freundin zur Haustür herein war, klingelte ich wie ein Irrer bei ihr und hörte mich wieder und wieder schreien

"Chloe, mach endlich auf! Ich weiß, daß du da bist!"

Sie bediente dann auch den Türöffner, gab mir jedoch über die Sprechanlage zu verstehen, daß ich gefälligst nicht so einen Lärm machen sollte. Ich würde noch das ganze Haus aufwecken. Sie würde den Fahrstuhl nach unten schicken und ich sollte einsteigen und nichts weiter tun.

Oben angekommen, machte ich ihr sofort eine Riesenszene.

"Und? Hast du es diesem Gigolo auf der Herrentoilette mal so richtig besorgt? Oder war es die Damentoilette? Was fällt dir ein?"

Danach legte ich richtig los und knallte Chloe so ziemlich alles an den Kopf, was man einem Menschen, der einen zutiefst verletzt hatte, in seiner gekränkten Eitelkeit nur an den Kopf knallen konnte. Ich schrie unentwegt und benötigte für meinen Vortrag gute zehn Minuten.

Während der ganzen Zeit stand Chloe einfach nur da, nippte hin und wieder an dem Glas in ihrer Hand und ließ mir ansonsten völlig ungerührt ihre uneingeschränkte Aufmerksamkeit zuteil werden. Als ich endlich fertig war, stellte sie mir nur eine Frage:

"Entschuldigung, Lance. Könntest du das ganze bitte noch einmal in einem angemessenen Tonfall wiederholen?"

In diesem Augenblick war ich im wahrsten Sinne des Wortes sprachlos.
Mit allem hatte ich gerechnet, jedoch nicht mit dieser Reaktion. Ich hätte ihr am liebsten eine rein gehauen.
Es dauerte dann Minuten, bis ich mich wieder halbwegs unter Kontrolle hatte. Chloe hingegen hatte ihrer letzten Frage noch immer nichts hinzugefügt und so stellte ich die Gegenfrage

"Warum tust du mir das an?"

Sie benötigte ihrerseits eine Weile, die ich wie eine Ewigkeit empfand, um mir zu antworten. Es kam mir so vor, als wußte sie nicht genau, wie sie mir das begreiflich machen sollte, was nun unweigerlich folgen würde.
Sie ging langsam auf mich zu und streichelte zärtlich meine Wange.

"Ach Lance, liebster Lance. Das mit uns beiden würde nicht gut gehen."

"Warum? Warum nur, Chloe?", bat ich sie flehentlich um eine Antwort, die ich verstehen, vielleicht akzeptieren konnte. "Es war doch alles perfekt zwischen uns. Was habe ich dir getan?"

"Gar nichts, Liebster. Gar nichts. Es ist nur…", sie mußte kurz überlegen, "…Es würde eben nicht funktionieren."

Ich schüttelte vehement den Kopf. "Nein! Nein! Das ist nicht wahr! Ich würde alles dafür tun, damit das mit uns beiden funktioniert."

"Ich weiß", antwortete sie und sah mich mit traurigen Augen an. "Komm!"

Chloe dirigierte mich zur nächstgelegenen Sitzgelegenheit, einem sehr bequem aussehenden Ohrensessel aus Nubukleder mit hochgezogenen Armlehnen und nahm selbst auf einer der Lehnen Platz. Nach einer kurzen Pause sagte sie

"Ich bin mir nicht sicher, ob du nur so tust oder ob du tatsächlich so naiv bist!? Sieh' dich doch mal hier um! Es gibt bestimmt eine nicht unerhebliche Anzahl Menschen, die in ihrem gesamten Leben nicht das verdienen, was alleine diese Wohnung inklusive ihrer Einrichtung gekostet hat. Und wann hat dir denn das letzte Mal eine 22-jährige den Kaufpreis für einen Ferrari mal soeben bar auf den Tisch gelegt? Sag' mir Lance! Sehe ich so aus, als ginge ich 40… 50 Stunden oder mehr die Woche schuften, um mir das alles hier leisten zu können? Und was für ein Job sollte das deiner Meinung nach sein? Bist du denn wirklich so blind?"

Langsam aber sicher begann es mir zu dämmern, was Chloe mir klar machen wollte. Doch noch immer weigerte ich mich, kämpfte geradezu dagegen an, es zu glauben. Wie ein dummer kleiner Junge kam ich mir vor. Nicht in der Lage, oder eben nicht Willens, das Offensichtliche zu erkennen.

"Du willst mir doch nicht weis machen, du bist… Ich meine…", ich wagte nicht, es auszusprechen. "…Nun ja… Für Geld?"

"Lance, wach endlich auf! Ich bin das, was man ein Luxus-Callgirl nennt! Was ich in einem Monat verdiene, dafür mußt du eine Menge Autos verkaufen. Dabei meine ich nicht nur das, was meine Kunden für meine Dienstleistung bezahlen müssen. Das ist schon nicht wenig und niemals verhandelbar. Dazu kommt vielmehr noch das, was sie mir aus reiner Gefälligkeit darüber hinaus bereit sind zu schenken. Nur um mich bei Laune zu halten. In der Hoffnung, daß ich sie ein wenig mehr mag, als all die anderen."

Ich starrte Chloe hilflos an, als hätte ich diese Frau, die neben mir saß, noch nie gesehen.

"Das soll wohl heißen, daß ich nur so eine Laune von dir gewesen bin? Daß das ganze ein Spiel für dich gewesen ist!? Oder hast du etwa geglaubt, mir etwas schuldig zu sein, weil ich dir für den Wagen einen mehr als fairen Preis gemacht habe?"

Ich hätte mich nicht darüber wundern dürfen, wenn Chloe mir dafür eine geklebt hätte. Doch nichts dergleichen geschah. Sie blickte mir mitleidig in die Augen und sinnierte:

"Ach, ihr Männer. Warum seid ihr nur so kompliziert? Euer ganzes Leben strebt ihr danach, geliebt zu werden. Und wenn es dann jemand tut, macht ihr alles kaputt oder merkt es gar nicht."

Ich wollte nicht locker lassen. Als hätte ich ihren letzten Satz nicht gehört, bohrte ich nach.

"Warum diese Nacht? Warum hast du es dann überhaupt soweit kommen lassen?"

Chloe fuhr mit ihrer Hand durch mein Haar und beobachtete diesen Vorgang leicht geistesabwesend dabei.

"Nobody is perfect, mein Lieber. Ich habe in dieser Nacht gegen meine eigenen Regeln verstoßen. Fange niemals etwas mit einem Typen an, wenn dabei Gefühle im Spiel sind. Alle anderen müssen dafür bezahlen."

Chloe stand auf. Sie griff nach zwei Gläsern aus der gut sortierten Hausbar, füllte sie einen Daumen breit mit Scotch und warf je zwei Eiswürfel ein. Wortlos sah ich ihr dabei zu.
Nachdem sie mir ein Glas gereicht hatte, ging sie wieder zu ihrem Sitzplatz zurück.

"Die Kerle sind schon auf der Highschool hinter mir hergewesen, wie der Teufel hinter der armen Seele. Irgendwann sind ein paar pubertierende Kiddies zu mir gekommen. Anfangs haben sie um den heißen Brei herumgestammelt. Irgend etwas von einem Freund erzählt, der an diesem Tag siebzehn geworden war. Jedenfalls stellte sich heraus, daß der abends eine Party geben wollte. Seine Freunde hatten sich eine ganz besondere Überraschung für ihn ausgedacht und eigens dafür gesammelt. Lange Rede, kurzer Sinn: Ich sollte auch auf die Party kommen und ihn im Schlafzimmer seiner Eltern entjungfern. Ich habe das damals zuerst für einen Scherz gehalten. Für einen megaschlechten noch dazu. Aber als sie mir das Geld zeigten, einen nicht zu unterschätzenden Betrag, wußte ich, daß es ihnen ernst war. Ich habe keine Ahnung, wie die ausgerechnet auf mich gekommen sind. Ich meine: Ich war zwar nicht gerade als Kind von Traurigkeit bekannt, aber so etwas hatte ich noch nie getan. Nun, ich dachte dann: Warum eigentlich nicht? und bin am Abend zur Party hin. Den Jungen, den ich vernaschen sollte, kannte ich. Er war zwar nicht häßlich, aber überhaupt nicht mein Typ. Trotzdem habe ich es ihm später so besorgt, daß er diese Nummer wohl sein ganzes Leben lang nicht mehr vergessen wird. Ich glaube, ich habe dem armen Kerl in dieser Nacht sein jämmerliches Spatzenhirn aus dem Schädel gevögelt. Und ich hatte ein tolles Gefühl dabei. Dabei hat mich nicht der Sex als solches aufgegeilt, sondern dieses berauschende Gefühl von Macht über einen anderen Menschen. Und dafür hatte ich auch noch Geld bekommen. Was ich mein ganzes Leben lang nicht mehr vergessen werde, ist der gierige Ausdruck in seinen Augen, mit denen er mich ansah, als er mich auf der Party erblickt hatte. Seither habe ich immer genau darauf geachtet und danach keinen Mann mehr getroffen, der nicht den gleichen Ausdruck in seinen Augen hatte."

Nach einer kurzen Unterbrechung sagte sie:

"Sex, mein Lieber, kann eine sehr effektive Waffe sein. Wenn man bereit und in der Lage ist, sie richtig einzusetzen, ist sie die stärkste Waffe der Welt! Und man kann alles im Leben mit ihr erreichen! Ich bin dann kurze Zeit später von der Schule abgegangen, weil ich seit diesem Tag wußte, was meine Bestimmung ist."

Während ihres Monologes hatte Chloe es tunlichst vermieden, mich dabei anzusehen. Bevor sie weiter redete, wandte sie sich mir aber wieder direkt zu.

"Ich könnte damit nicht aufhören, Lance. Wenigstens noch nicht. Und wenn du auch in der Lage sein solltest, das zu akzeptieren, was ich ernsthaft bezweifele, würde es dich zerbrechen. Das ist mir klar geworden."

Chloe stockte beinahe unmerklich, bevor sie fort fuhr.

"Sieh' mal! Die Geschichte habe ich dir nur aus einem einzigen Grund erzählt. Ich habe bei all den Männern, die ich zwangsläufig kennengelernt habe, letztlich doch jemanden getroffen, in dessen Augen ich etwas anderes sehen konnte, als diese kaum zu unterdrückende Gier. Und dieser Jemand bist du, Lance! Ursprünglich war das der Grund dafür, daß ich bereit gewesen bin, mich mehrmals mit dir zu treffen. Es hat mich fasziniert, daß du mich immer auf diese ganz eigenartige… unschuldige Weise angesehen hast. Wie ein kleiner Junge, der es nicht erwarten kann, sein Weihnachtsgeschenk auszupacken. Das hatte für mich so etwas Liebevolles und es hat mir fern gelegen, dich jemals zu verletzen. Daß es weiter gegangen ist… Ich weiß auch nicht, was ich dir dazu sagen soll. Nur eines noch. An diesem Abend, in dieser Nacht habe ich es gewollt. Habe ich dich gewollt, auch wenn ich es später bereut habe. Weil mir sehr schnell bewußt geworden ist, was ich damit angerichtet habe. Es war dumm von mir, danach zu glauben, du würdest schon von selbst dein Interesse an mir verlieren, wenn ich mich nicht mehr bei dir melde. Ich hoffe, wir können trotzdem Freunde bleiben."

Das war das zweite Mal an diesem Abend, daß ich Chloe am liebsten eine reingedonnert oder besser noch, sie gleich erwürgt hätte. Es war schon schwer genug, ihre detaillierten Ausführungen der letzten Minuten zu verdauen. Doch in diesem Fall war sie sicherlich sehr naiv, wenn sie glaubte, daß wir nach all dem einfach nur Freunde bleiben konnten.
Vielleicht hoffte sie aber auch, daß ich sie für das, was sie mir erzählt hatte, hassen würde. Ohne mich dabei wirklich gekränkt zu haben. Daß ich sie aber alleine dafür hassen würde, weil ich sie niemals für mich alleine haben konnte. Und an diesem Abend war ich davon überzeugt, daß ihr Vorhaben auch von Erfolg gekrönt sein würde.

Ich stand auf und sah Chloe lange in die Augen, bis sie verschämt ihren Blick senkte.

"Leb' wohl, Chloe.", sagte ich zu ihr und ging.

Diesen vermeintlichen Triumph wollte ich mir nicht nehmen lassen.


Ich versöhnte mich wieder mit meinem Vater, um mich mehr als je zuvor in die Arbeit zu stürzen.
Einige Monate später fuhr ich anläßlich einer Fahrzeugüberführung nochmals an Chloes Wohnung vorbei. Da ich noch etwas Zeit hatte, stieg ich aus und klingelte nach kurzem Zögern an ihrer Haustür. Ich war mir nicht sicher, ob ich schon vollkommen über die Sache hinweg war. Wahrscheinlich würde ich nie ganz darüber hinweg kommen. Aber ich dachte, es könnte nicht schaden, Hallo zu sagen. Irgendwie interessierte es mich doch, ob es ihr gut ging.
Wenn ich heute darüber nachdenke, wollte ich sie wohl an diesem Tag nur ganz einfach noch einmal sehen.

Die Frauenstimme, die sich an der Sprechanlage meldete, kam mir jedoch fremd vor. Ich mußte auf Nachfrage erfahren, daß Chloe wenige Wochen zuvor die Wohnung verkauft hatte. Eine neue Adresse konnte die Stimme mir nicht nennen.

Von Chloe selbst habe ich nie wieder etwas gehört. Aber etwa ein weiteres Jahr später stieß ich zufällig auf einen groß aufgemachten Zeitungsartikel, in dem es um den mysteriösen Tod einer Edel-Prostituierten in Denver/Colorado ging.

Dem Artikel zufolge handelte es sich dabei wahrscheinlich um einen Mord aus Leidenschaft. Das Callgirl war in der eigenen Wohnung erwürgt worden, es hatten aber keinerlei Wertgegenstände gefehlt. Und in einem nicht extra gesicherten Schrank, hatte die Polizei einen Haufen Bargeld gefunden.
Der Name der Prostituierten lautete Chloe N. Und obwohl das Polizeiphoto sehr undeutlich war, stand für mich zweifelsfrei fest, daß es sich bei der Toten um meine Chloe handelte.
Irgendein Kerl hatte wohl gedacht: Wenn ich sie nicht für mich alleine haben kann, soll sie auch kein anderer kriegen und beschlossen, Chloes Leben deshalb ein Ende zu setzen.

Die stärkste Waffe der Welt hatte an diesem Tag versagt.


Sämtliche Rechte bei Frank S., Düsseldorf


Teil des Sammelbandes "UND DER TEUFEL LÄCHELT IMMER NOCH"



vip

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