Manchmal fehlt die Zeit, eine Entscheidung zu treffen und sich gleichzeitig über die weit reichenden Konsequenzen im Klaren zu sein.
Es war Samstag, etwa ein Uhr morgens, als er die Lokalität verließ. Irgendwo in einer deutschen Großstadt und mitten im Hochsommer. Die Außentemperatur war angenehm; keineswegs selbstverständlich. Nicht zu kalt, nicht zu drückend. Und es hing immer noch der Geruch von frischen Teigwaren in der Luft, den die unzähligen Pizza-Bäckereien in der Altstadt verströmten.
Thomas Sonnenberg – oder Sonny, wie seine Freunde ihn nannten – machte sich auf den Nachhauseweg. Nicht, dass er betrunken gewesen wäre. Es kam selten vor, dass er trank. Sonny rauchte nicht, hielt sich mit Jogging fit und Alkohol war höchstens in Ausnahmefällen eine Option für ihn.
Aber fünf Stunden mit seinem Kumpel Jens durch die Kneipen zu ziehen, war mehr als genug. Jens konnte ununterbrochen reden. Ohne Punkt und Komma. Dennoch war er ein lustiger Vogel und nötigte Sonny immer wieder aufs Neue zu unkontrollierten Lachkrämpfen. Sie hatten einige Jahre miteinander gearbeitet, bis Sonny von einer anderen Firma abgeworben worden war. Seither trafen sie sich einmal im Monat auf einen gemeinsamen Zug durch die Gemeinde. Einfach nur so. Zum Quatschen eben. Nun ja; der einzige, der an diesen Abenden quatschte, war in der Regel Jens.
Sonny brummte der Schädel. Zum Schluss war die Musik in der Kneipe, die sie für ihren Absacker auserkoren hatten, so laut geworden, dass sein Freund ihm ständig ins Ohr schreien musste, damit er überhaupt etwas verstehen konnte. Zum Glück tauchte, wie aus heiterem Himmel, eine Ex-Flamme von Jens an ihrem Tisch auf. Ein willkommener Anlass für Sonny, sich aus dem Staub zu machen.
Während er, wie immer, die kleine Seitenstraße entlang ging, die zum nächsten Taxistand führte, dachte er an seine fünfjährige Tochter Laura. Sicher würde er sich zum Frühstück wieder etwas von seiner Frau anhören können. Seit fast zwei Jahren weigerte sich Laura stundenlang einzuschlafen, wenn sie zur Schlafenszeit nicht ihr Gute-Nacht-Küsschen von ihrem Papi bekam. Auch heute hatte Sonny sich unmittelbar nach der Arbeit, ohne Zwischenstopp zu Hause, mit Jens getroffen. Einmal im Monat musste Laura – musste seine Frau – da eben durch. Zudem war es für ihn umso schöner, wenn…
Sonny wurde jäh aus seiner Gedankenwelt herausgerissen. Es war der spitze Schrei einer Frau, der ihn in die Realität zurückholte. Sie bückte sich gerade nach etwas, das er aus der Entfernung nicht genau erkennen konnte. Aber es war klar, warum die Frau geschrien hatte.
Drei Männer standen um sie herum und versuchten, sie in einen Hauseingang zu drängen. Nach einem Spaß sah das nicht aus.
Jetzt ärgerte Sonny sich, dass er sein privates Mobiltelefon nicht mitgenommen hatte. Und das ihm von der Firma überlassene Telefon hatte er im Schreibtisch seines Büros deponiert, damit er es nicht versehentlich irgendwo liegen ließ oder es ihm gestohlen wurde. Man wusste ja nie.
Mit wenigen Schritten hatte Sonny die Gruppe erreicht und verspürte sogleich einen Kloß in seinem Hals, sowie ein leichtes Rumoren in der Magengegend. Er konnte nun auch erkennen, wonach die Frau sich gebückt hatte. In dem Display, welches noch immer leuchtete, waren die Ziffern 1 1 klar zu erkennen. Weiter war sie nicht gekommen.
Jetzt stand sie verunsichert auf der ersten Stufe des Hauseingangs, in den die drei Typen versucht hatten, sie hinein zu drängen und sah ihn mit einer Mischung aus panischer Angst und unverhohlener Dankbarkeit an.
Die Kerle waren allesamt nicht älter als 16, 17, höchstens 18 Jahre. Was sie in Sonnys Augen nicht ungefährlicher machte.
Zwei der Kerle grinsten ihn beinahe mitleidig an. Trotzdem kam es ihm so vor, als seien sie sich nicht sicher, was sie von der Situation halten sollten.
Der dritte von ihnen machte auf Sonny allerdings den Eindruck eines unberechenbaren und zähnefletschenden Bullterriers, der ständig auf der Suche nach seinem nächsten Opfer war. Er war nur wenige Zentimeter größer als Sonny. Aber sein massiger Schädel mit dem roten Irokesenschnitt, gestützt von einem Stiernacken, der in für sein Alter überdimensioniert breiten Schultern seines Oberkörpers mündete, welcher wiederum von proportional etwas zu kurz geratenen Beinen angetrieben wahrscheinlich nicht selten als Rammbock von ihm benutzt wurde, verliehen ihm ein Furcht einflößendes Aussehen. Er war es dann auch, der Sonny ansprach.
„Sag’ mal Alter! Bist du lebensmüde?“
„OK, Jungs! Ich denke, ihr habt euren Spaß gehabt. So’n paar coole Typen wie ihr haben das doch sicher nicht nötig, oder?“
Sonny versuchte, einen verächtlichen Unterton in seiner Stimme zu vermeiden, bezweifelte aber auch, dass ihm noch etwas ähnlich Schwachsinniges eingefallen wäre. Vielleicht hätte er nur Hilfe oder noch besser laut Feuer rufen sollen. Doch um jetzt einfach weiter zu gehen, dafür war es längst zu spät.
Der Bullterrier bewegte sich, als sei er sich seiner Sache vollkommen sicher, langsam auf Sonny zu und blieb erst wenige Zentimeter vor ihm stehen, so dass sich ihre Nasenspitzen fast berührten.
„Hast du Drogen genommen, oder was? Ich werd’ dir jetzt mal cool was auf die Fresse geben, wenn du dich nicht verpisst!“
Ebenso offensichtlich, wie zumindest dieser Kerl auf Konfrontation aus war, so sicher war es für Sonny, dass lediglich eine Chance für ihn und die Frau bestand, mit heiler Haut aus dieser Nummer herauszukommen.
„Wenn du meinst!?“
Bevor der Schläger etwas entgegnen konnte, hatte Sonny seine Rechte in dessen fieser Visage platziert.
Das Geräusch seines brechenden Unterkiefers war unüberhörbar. Während er sich in seinem eigenen Blut herumwälzte und immer wieder schrie:
„A Hein ha ir en Hnieer ochen…! A Hein ha ir en Hnieer ochen…!“,
wandte Sonny sich den beiden anderen Kerlen zu.
Der eine, augenscheinlich der jüngste von ihnen, starrte mit halb geöffnetem Mund fassungslos auf den am Boden liegenden Anführer der Gruppe. Ohne ihn weiter zu beachten, packte Sonny den anderen am Kragen, knallte ihn mit der Brust an die Hauswand und drehte dessen rechten Arm, ähnlich einem Polizeigriff, auf den Rücken.
„Wenn mir je wieder einer von euch Verhaltensgestörten über den Weg laufen sollte, mache ich ihn fix und fertig! So und nun hau ab!“
Das Messer traf Sonny dreimal in den Rücken. Während er noch zu Boden sackte, gingen bei ihm bereits alle Lichter aus. Ganz tief in seinem Unterbewusstsein nahm er noch wahr, dass die Außentemperatur schlagartig gesunken sein musste. Eine nie gekannte Kälte drang in jede Faser seines Körpers und die Luft verströmte auch nicht mehr diesen Geruch nach frischen Teigwaren, den er so mochte.
Alles wurde überdeckt von dem metallischen Geschmack in seinem Mund, von dem Blut…und der Dunkelheit…
Es dauerte mehr als vierzig Minuten, bis ein Passant den leblosen Körper entdeckte und einen Krankenwagen rief.
Der Täter wurde wenige Tage später von der Polizei gefasst. Nach 10 Jahren Jugendstrafe wird er ein neues Leben beginnen können.
Aber auch ein Jahr nach diesem verhängnisvollen Morgen, hört Thomas Sonnenbergs Frau ihre Tochter Laura manchmal noch abends in ihrem Bettchen weinen…weil sie nicht einschlafen will.
Die Identität der Frau, die Sonny gerettet hatte, ist bis heute ungeklärt.
Es war Samstag, etwa ein Uhr morgens, als er die Lokalität verließ. Irgendwo in einer deutschen Großstadt und mitten im Hochsommer. Die Außentemperatur war angenehm; keineswegs selbstverständlich. Nicht zu kalt, nicht zu drückend. Und es hing immer noch der Geruch von frischen Teigwaren in der Luft, den die unzähligen Pizza-Bäckereien in der Altstadt verströmten.
Thomas Sonnenberg – oder Sonny, wie seine Freunde ihn nannten – machte sich auf den Nachhauseweg. Nicht, dass er betrunken gewesen wäre. Es kam selten vor, dass er trank. Sonny rauchte nicht, hielt sich mit Jogging fit und Alkohol war höchstens in Ausnahmefällen eine Option für ihn.
Aber fünf Stunden mit seinem Kumpel Jens durch die Kneipen zu ziehen, war mehr als genug. Jens konnte ununterbrochen reden. Ohne Punkt und Komma. Dennoch war er ein lustiger Vogel und nötigte Sonny immer wieder aufs Neue zu unkontrollierten Lachkrämpfen. Sie hatten einige Jahre miteinander gearbeitet, bis Sonny von einer anderen Firma abgeworben worden war. Seither trafen sie sich einmal im Monat auf einen gemeinsamen Zug durch die Gemeinde. Einfach nur so. Zum Quatschen eben. Nun ja; der einzige, der an diesen Abenden quatschte, war in der Regel Jens.
Sonny brummte der Schädel. Zum Schluss war die Musik in der Kneipe, die sie für ihren Absacker auserkoren hatten, so laut geworden, dass sein Freund ihm ständig ins Ohr schreien musste, damit er überhaupt etwas verstehen konnte. Zum Glück tauchte, wie aus heiterem Himmel, eine Ex-Flamme von Jens an ihrem Tisch auf. Ein willkommener Anlass für Sonny, sich aus dem Staub zu machen.
Während er, wie immer, die kleine Seitenstraße entlang ging, die zum nächsten Taxistand führte, dachte er an seine fünfjährige Tochter Laura. Sicher würde er sich zum Frühstück wieder etwas von seiner Frau anhören können. Seit fast zwei Jahren weigerte sich Laura stundenlang einzuschlafen, wenn sie zur Schlafenszeit nicht ihr Gute-Nacht-Küsschen von ihrem Papi bekam. Auch heute hatte Sonny sich unmittelbar nach der Arbeit, ohne Zwischenstopp zu Hause, mit Jens getroffen. Einmal im Monat musste Laura – musste seine Frau – da eben durch. Zudem war es für ihn umso schöner, wenn…
Sonny wurde jäh aus seiner Gedankenwelt herausgerissen. Es war der spitze Schrei einer Frau, der ihn in die Realität zurückholte. Sie bückte sich gerade nach etwas, das er aus der Entfernung nicht genau erkennen konnte. Aber es war klar, warum die Frau geschrien hatte.
Drei Männer standen um sie herum und versuchten, sie in einen Hauseingang zu drängen. Nach einem Spaß sah das nicht aus.
Jetzt ärgerte Sonny sich, dass er sein privates Mobiltelefon nicht mitgenommen hatte. Und das ihm von der Firma überlassene Telefon hatte er im Schreibtisch seines Büros deponiert, damit er es nicht versehentlich irgendwo liegen ließ oder es ihm gestohlen wurde. Man wusste ja nie.
Mit wenigen Schritten hatte Sonny die Gruppe erreicht und verspürte sogleich einen Kloß in seinem Hals, sowie ein leichtes Rumoren in der Magengegend. Er konnte nun auch erkennen, wonach die Frau sich gebückt hatte. In dem Display, welches noch immer leuchtete, waren die Ziffern 1 1 klar zu erkennen. Weiter war sie nicht gekommen.
Jetzt stand sie verunsichert auf der ersten Stufe des Hauseingangs, in den die drei Typen versucht hatten, sie hinein zu drängen und sah ihn mit einer Mischung aus panischer Angst und unverhohlener Dankbarkeit an.
Die Kerle waren allesamt nicht älter als 16, 17, höchstens 18 Jahre. Was sie in Sonnys Augen nicht ungefährlicher machte.
Zwei der Kerle grinsten ihn beinahe mitleidig an. Trotzdem kam es ihm so vor, als seien sie sich nicht sicher, was sie von der Situation halten sollten.
Der dritte von ihnen machte auf Sonny allerdings den Eindruck eines unberechenbaren und zähnefletschenden Bullterriers, der ständig auf der Suche nach seinem nächsten Opfer war. Er war nur wenige Zentimeter größer als Sonny. Aber sein massiger Schädel mit dem roten Irokesenschnitt, gestützt von einem Stiernacken, der in für sein Alter überdimensioniert breiten Schultern seines Oberkörpers mündete, welcher wiederum von proportional etwas zu kurz geratenen Beinen angetrieben wahrscheinlich nicht selten als Rammbock von ihm benutzt wurde, verliehen ihm ein Furcht einflößendes Aussehen. Er war es dann auch, der Sonny ansprach.
„Sag’ mal Alter! Bist du lebensmüde?“
„OK, Jungs! Ich denke, ihr habt euren Spaß gehabt. So’n paar coole Typen wie ihr haben das doch sicher nicht nötig, oder?“
Sonny versuchte, einen verächtlichen Unterton in seiner Stimme zu vermeiden, bezweifelte aber auch, dass ihm noch etwas ähnlich Schwachsinniges eingefallen wäre. Vielleicht hätte er nur Hilfe oder noch besser laut Feuer rufen sollen. Doch um jetzt einfach weiter zu gehen, dafür war es längst zu spät.
Der Bullterrier bewegte sich, als sei er sich seiner Sache vollkommen sicher, langsam auf Sonny zu und blieb erst wenige Zentimeter vor ihm stehen, so dass sich ihre Nasenspitzen fast berührten.
„Hast du Drogen genommen, oder was? Ich werd’ dir jetzt mal cool was auf die Fresse geben, wenn du dich nicht verpisst!“
Ebenso offensichtlich, wie zumindest dieser Kerl auf Konfrontation aus war, so sicher war es für Sonny, dass lediglich eine Chance für ihn und die Frau bestand, mit heiler Haut aus dieser Nummer herauszukommen.
„Wenn du meinst!?“
Bevor der Schläger etwas entgegnen konnte, hatte Sonny seine Rechte in dessen fieser Visage platziert.
Das Geräusch seines brechenden Unterkiefers war unüberhörbar. Während er sich in seinem eigenen Blut herumwälzte und immer wieder schrie:
„A Hein ha ir en Hnieer ochen…! A Hein ha ir en Hnieer ochen…!“,
wandte Sonny sich den beiden anderen Kerlen zu.
Der eine, augenscheinlich der jüngste von ihnen, starrte mit halb geöffnetem Mund fassungslos auf den am Boden liegenden Anführer der Gruppe. Ohne ihn weiter zu beachten, packte Sonny den anderen am Kragen, knallte ihn mit der Brust an die Hauswand und drehte dessen rechten Arm, ähnlich einem Polizeigriff, auf den Rücken.
„Wenn mir je wieder einer von euch Verhaltensgestörten über den Weg laufen sollte, mache ich ihn fix und fertig! So und nun hau ab!“
Das Messer traf Sonny dreimal in den Rücken. Während er noch zu Boden sackte, gingen bei ihm bereits alle Lichter aus. Ganz tief in seinem Unterbewusstsein nahm er noch wahr, dass die Außentemperatur schlagartig gesunken sein musste. Eine nie gekannte Kälte drang in jede Faser seines Körpers und die Luft verströmte auch nicht mehr diesen Geruch nach frischen Teigwaren, den er so mochte.
Alles wurde überdeckt von dem metallischen Geschmack in seinem Mund, von dem Blut…und der Dunkelheit…
Es dauerte mehr als vierzig Minuten, bis ein Passant den leblosen Körper entdeckte und einen Krankenwagen rief.
Der Täter wurde wenige Tage später von der Polizei gefasst. Nach 10 Jahren Jugendstrafe wird er ein neues Leben beginnen können.
Aber auch ein Jahr nach diesem verhängnisvollen Morgen, hört Thomas Sonnenbergs Frau ihre Tochter Laura manchmal noch abends in ihrem Bettchen weinen…weil sie nicht einschlafen will.
Die Identität der Frau, die Sonny gerettet hatte, ist bis heute ungeklärt.
Lesen Sie auch Teil 2 - "courage civil" oder gleich Teil des Sammelbandes "DER TEUFEL KOMMT MIT EINEM LÄCHELN"
vip
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