Kurzgeschichten schreiben – mehr als nur ein Hobby? (Teil 5)
Da saß ich nun. Jeden Abend nach Dienstschluss fuhr ich umgehend in mein minimalistisch eingerichtetes 15 qm-Appartement in Berlin und hämmerte in die Tasten meines Laptops. 90-Stunden-Wochen und mehr auf fünf Arbeitstage reduziert waren mittlerweile für mich der Normalzustand geworden (das hat sich übrigens bis heute nicht wesentlich geändert). Es hatte mich beruflich hierhin verschlagen. Aber ich wollte das alles nicht mehr. Jeder Wochentag war für mich inzwischen zu einem Martyrium geworden. Und meinen Frieden hatte ich nur noch an den Wochenenden zu Hause und während der wenigen Urlaubstage gefunden, die ich mit meiner Familie verbringen konnte.
Es musste sich etwas ändern. Umgehend. Besser heute als morgen. Und deshalb ging es schon sehr bald nicht mehr um das Schreiben an sich. Darum, einfach alles raus zu lassen, um irgendwann vielleicht auch wieder den Kopf frei zu bekommen. NEIN! Ich kam gut voran. Redete mir ständig ein, dass aus diesem Projekt tatsächlich etwas werden konnte, aus dem Kapital zu schlagen war. Vielleicht würde es weniger sein, als das, was ich mit meinem Job verdiente. Aber egal. Wirklich glücklich war ich jetzt gerade auch nicht. Und wenn ich endlich wieder das hatte, was mir wirklich etwas bedeutete, dann war es einen Verzicht, der sich in einem angemessenen Rahmen hielt, alle Male wert. Notfalls könnte ich mich einige Zeit mit kleineren Nebenbeschäftigungen über Wasser halten? Zudem hätte meine Frau jederzeit in ihren Job zurück gekonnt, der ebenfalls alles andere als unterbezahlt war. Wie auch immer. DAS HIER musste jedenfalls ein Ende haben!
Nach etwa sechs Monaten hatte das Gerüst meines Romans gestanden. Nun galt es, den Feinschliff vorzunehmen. Ich hatte mich an ein ziemlich ambitioniertes Projekt herangewagt. Denn im Grunde handelte es sich um längere Episoden, welche von anderen Episoden unterbrochen und an geeigneter Stelle wieder aufgenommen wurden. Und die ich zuletzt natürlich geschickt zu einer Geschichte miteinander verknüpfen wollte respektive musste. Im Kopf hatte das wunderbar funktioniert und während des Schreibens war mir auch nicht aufgefallen, dass ich nach und nach etwas den Faden verloren hatte. Sicher; für sich alleine gesehen machten die Stories Sinn. Aber das Verknüpfungsproblem bereitete mir schließlich ernsthaftes Kopfzerbrechen.
Ich habe nicht die geringste Ahnung, ob Sie sich eine Vorstellung davon machen können, wie es ist, wenn man einen Roman immer und immer wieder lesen MUSS!? Schon gar nicht, wenn man sich gezwungen sieht, das zu lesen, was man selbst fabriziert hat. Weil man niemanden kennt, der wertfrei ein Urteil dazu abgeben kann. Der das Manuskript lektoriert (Nick musste ich da außen vor halten). Egal, ob es gut oder schlecht ist. Liest man seine eigenen Stories, werden sie mit jedem Mal mieser.
Ich kann inzwischen auch nicht mehr sagen, wie oft ich umgeschrieben, ganze Passagen entfernt, wieder hinzugefügt, neue geschrieben und wiederholt umgeschrieben habe. Doch weil ich sehr viel kreative Zeit und Energie in diesen Teil meines Projekts gesteckt hatte, fehlte mir letztlich die erforderliche Geduld, den Roman ordentlich abzuschließen. Jede Euphorie, die ich an/in jenen Abenden und Nächten empfunden hatte, an/in denen ich so hart an meinem Roman gearbeitet hatte, war nun verflogen. Ich war an einem Punkt angelangt, an dem ich mich fragte, ob es die Mühen und Entbehrungen wert gewesen war. Zweifelte und war inzwischen desillusioniert. Eine tödliche Kombination, wenn man Begonnenes in einem solchen Zustand zu Ende bringt.
Blauäugig habe ich so ziemlich jedem deutschen Verlag damals mein Manuskript zugeschickt. Nur ein oder zwei haben mir damals mitgeteilt, dass sie gerade keine neuen Autoren aufnehmen würden. Der Rest hat sich nie bei mir gemeldet, was mich bei der Flut von Einsendungen, welche die Verlage täglich erreichen, zumindest heute nicht mehr wundert. Leider bin ich zu spät auf die Idee gekommen, mir einen Literaturagenten zu suchen. Einer hat mir dann mal geschrieben, dass ich es ohnehin vergessen könnte, einen Agenten zu beauftragen, wenn das Manuskript Verlagen bereits vorgelegen hat. Ich solle etwas Neues schreiben und mich danach wieder bei ihm melden. Eine Agentin teilte mir mit, dass das Manuskript zwar Potential hätte, gerade aber nicht den Mainstream trifft und sie daher ein Problem für die Vermarktung sähe. Vielleicht wollte sie aber auch nur freundlich sein.
Zehn Jahre nachdem ich mein Manuskript mental in die Tonne getreten hatte, habe ich es mir wieder vorgenommen. Und selbst mir graut inzwischen vor der Umsetzung. Nach wie vor bin ich davon überzeugt, dass in der Tat Potential vorhanden war. Nur wusste ich nicht wirklich etwas damit anzufangen. Und ob denn etwas daraus geworden wäre, hätte ich nicht diese fatalen Fehler begangen, werde ich nun nie erfahren.
Dass ich jetzt Kurzgeschichten schreibe, dient sowohl der Fingerübung, als auch der Möglichkeit, Themen, die mich interessieren, relativ schnell inhaltlich abschließen zu können. Und nach wie vor dazu, dieses ständige Ticken in meinem Kopf zu bekämpfen. Doch wer weiß? Vielleicht starte ich ja irgendwann einen zweiten Versuch.
Übrigens: Nicht alle aber doch einige meiner Kurzgeschichten (FRIENDS) waren ursprünglich in Auszügen Teil des verschrotteten Romans. Auch wenn ich sie erneut entsprechend umschreiben musste. Raten Sie doch mal, welche?
Ende der Artikelserie
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