Die Bank hatten sie schon zwei Tage aus sicherer Entfernung beobachtet. Es war eine sehr kleine Bank, aber es war auch eine sehr kleine Stadt, nahe der mexikanischen Grenze.
Abwechselnd waren sie schließlich auch in die Bank gegangen und hatten versucht, sich möglichst unauffällig im Schalterraum zu bewegen. Dabei hatten sie unsinnige Zahlen wie Texte auf irgendwelche Formulare gekritzelt, bemüht währenddessen, sich die Anzahl der Mitarbeiter sowie die Positionen ihrer Arbeitsplätze einzuprägen. Skip Walker glaubte zu wissen, worauf es ankam.
Die Bank war immer mit drei Angestellten besetzt. Eine dunkelhäutige Schönheit, etwa in seinem Alter, langweilte sich meistens an einem Informationsschalter. Ein ziemlich junger Kerl, den Skip auf höchstens Mitte zwanzig schätzte und der dieser Frau ständig verstohlene Blicke zuwarf, war für den Kassenbereich verantwortlich. Und letztlich war da noch ein um die vierzig Jahre alter Glatzkopf, der unentwegt hektische Betriebsamkeit an einem im hinteren Winkel der Bank platzierten Schreibtisch zur Schau stellte. Auch wenn kaum Kundenverkehr in der Bank zu verzeichnen war. Er war offensichtlich derjenige, der das Sagen hatte.
Wie sie festgestellt hatten, verfügte der Tresor der Bank noch nicht über eines jener Zeitschloss-Systeme, welches es den Bediensteten nur zu ganz bestimmten Zeiten oder mit erheblicher Verzögerung erlaubt hätte, diesen zu öffnen. Zudem fand weder im Innen-, noch im Außenbereich der Bank eine Videoüberwachung statt. Eigentlich die besten Voraussetzungen für ihr Vorhaben.
Der wenig vertrauenerweckend aussehende Mittfünfziger in seiner Phantasieuniform, der jedes Betreten oder Verlassen der Schalterhalle eines Kunden mit einem mehr oder weniger freundlichen Kopfnicken quittierte, beunruhigte Skip allerdings. Der Kerl war ein richtiger Hüne. Wahrscheinlich Mexikaner und mindestens 2,10 Meter groß! Mit einem Kreuz wie eine Bahnschranke. Doch war es vielmehr das, was er rechts an seiner Hüfte in einem schwarzen Lederhalfter trug, das Skip ernsthafte Sorgen bereitete. Als jemand, der sich für Waffen aller Art interessierte seit er denken konnte, identifizierte er einen Revolver Marke 44er S&W. Und der Typ vermittelte nicht den Eindruck, als würde er lange fackeln, bevor er das Ding auch tatsächlich einsetzte. Bestimmt ging man in der Bank davon aus, dass niemand bescheuert genug sein konnte zu glauben, er könnte diese ausrauben, um dann auch noch mit dem erbeuteten Geld lebend und an einem Stück an dieser in Fleisch gepressten Dampflok vorbeizukommen. Sie mussten demnach da reinmarschieren, und sich zuallererst diesen Kerl vorknöpfen. Von anderer Seite war danach sicher kaum Widerstand zu erwarten. Letztlich, davon ging Skip aus, war das Überraschungsmoment auf ihrer Seite.
Obwohl... Langsam begann er daran zu zweifeln. Diese Stadt war nicht so klein, dass sich sämtliche Einwohner per Handschlag begrüßt hätten. Allerdings sollten zwei Fremde in der Bank wahrscheinlich ebenso auffallen, wie ein Rottweiler auf einem Kinderspielplatz. Und sein Freund Jack hatte ihm erzählt, dass er am Schalter einige Scheine hatte wechseln müssen, weil der Mexikaner ihn so seltsam angesehen und dabei mit Zeige- und Mittelfinger seiner rechten Hand beiläufig mehrfach auf den Knauf seiner Waffe getippt hatte. Nur hatten sie schon zuviel Zeit dafür verwendet, die Bank auszukundschaften und sich daher schließlich geeinigt, trotz des nicht zu unterschätzenden Risikos den geplanten Überfall durchzuziehen. Du weißt genau so gut wie ich, dass wir unsere Firma anders nicht mehr retten können. Wir stehen kurz vor der Pleite! Wenn wir es jetzt nicht tun, machen wir es nie! hatte Skip ihn angebrüllt und das hatte genügt, um auch Jack Nubirt von der Notwendigkeit zu überzeugen, ihr Vorhaben umgehend in die Tat umzusetzen.
Skip fischte aus dem Kofferraum seines abseits der Hauptstraße geparkten Wagens eine Pumpgun. Geschickt ließ er sie unter dem grauen Staubmantel verschwinden, den er sich eigens samt weiteren Utensilien für dieses Ereignis zuvor noch besorgt hatte. Sein Freund war lediglich mit einem Baseball-Schläger bewaffnet. Es wäre sehr nachlässig gewesen, hätte nicht wenigstens einer von beiden eine Feuerwaffe zum eigenen Schutz dabei gehabt. Zudem würde sie ihrer Forderung den entsprechend benötigten Nachdruck verleihen. Letzten Endes waren beide aber übereingekommen, niemand bei dem Bankraub zu verletzen. Die einzige Gefahr für sie schien von dem Wachmann auszugehen. Wenn Skip den in Schach halten konnte, würde es keine Probleme geben. So sah es jedenfalls ihr naiver Plan vor. Auf den Straßen war es ruhig, keine Menschenseele war zu sehen.
12:50 Uhr mittags, zehn Minuten vor Schließung der Bank. Gemessenen Schrittes und ohne jede Eile marschierten sie auf den Eingang zu, der unmittelbar in die Schalterhalle führte. Wenige Schritte davor zogen beide ihre Sturmhauben über die Köpfe und Skip lehnte sich mit der linken Schulter gegen die Tür aus verstärktem Sicherheitsglas, um diese zu öffnen. Gleichzeitig brachte er die Pumpgun mit einer so fließenden und ebenso eleganten Bewegung in Anschlag, als hätte er seinen Lebtag nichts anderes gemacht. Es befanden sich keine Kunden mehr im Schalterraum. Bevor irgendjemand der Bankangestellten auch nur ansatzweise registrierte, was da gerade vor sich ging, stand Skip auch schon vor dem Mexikaner, der ihm in diesem Moment noch größer als beim letzten Mal erschien. Es war ihm bewusst: wenn er hier lange herumstand und überlegte, würde dieser Hüne ihn ungespitzt in den Boden stampfen. Ganz zu schweigen, was er danach mit seinem Freund anstellen würde. Kurzerhand und ohne jede Vorwarnung schlug er dem überrascht dreinschauenden Wachmann den Schaft seiner Waffe mit voller Wucht ins Gesicht. Der veränderte daraufhin den Gesichtsausdruck nur unwesentlich, sackte allerdings unverzüglich eine Etage tiefer. In dem Augenblick, da er völlig ungläubig vor Skip kniete, was ihn nur geringfügig kleiner als diesen machte, hätte der beinahe Mitleid mit ihm bekommen. Sicherheitshalber schlug er dann aber ein zweites Mal gegen den Schädel des Mannes, was den Mexikaner endgültig zu Boden gehen ließ. „Okay Leute!“ Skip verfiel in einen Adrenalinrausch. „Es ist genau das, wonach es aussieht! Bleibt alle ganz locker! Und spielt nicht den Helden!“ Die typische Handbewegung beim Durchladen der Pumpgun sowie das dazugehörige Geräusch ließen niemand in dem Raum daran zweifeln, was anderenfalls passieren würde.
Skips Blick wanderte erst zu Jack: „Los! Du kümmerst dich um den Hektiker da hinten, der hat bestimmt den Schlüssel für den Safe. Er soll sich beeilen! Ich halte weiterhin den Wachmann in Schach. Schätze, der kommt soeben wieder zu sich.“ und dann zu dem jungen Bankangestellten. „Du da! Komm her! Auf den Bauch legen und Hände hinter dem Kopf verschränken. Sonst knallt’s!“
Die Frau am Infoschalter schien vor Angst zur Salzsäule erstarrt zu sein. Skips Meinung nach sollte sie ruhig dort stehen bleiben. Was konnte sie schon ausrichten? „Hände auf das Pult! Ich will deine Hände sehen!“, fuhr er sie forsch an.
Jack hatte bis zum Zeitpunkt, da Skip ihn angesprochen hatte, ebenfalls wie versteinert dagestanden und das für ihn unglaubliche Szenario verfolgt. Seit sie die Bank betreten hatten, war höchstens eine Minute vergangen. Aber es war bereits alles anders gelaufen, als besprochen. Niemand sollte bei dem Überfall verletzt werden und nun lag der Wachmann der Bank mehr tot als lebendig am Boden, nur weil Skip offensichtlich durchdrehte. Zwangsläufig erwachte Jack aus seinem nahezu lethargischen Zustand. So unberechenbar Skip in den letzten Sekunden geworden zu sein schien, so wichtig war es, dass er selbst nun schnellstmöglich seinen ihm aufgetragenen Part erledigte und ab sofort alles so lief, wie sie es geplant hatten. Womöglich würde sein Freund anderenfalls noch anfangen, wild um sich zu schießen. Und das durfte auf gar keinen Fall passieren!
Inzwischen hatte Skip dem Wachmann die 44er abgenommen und sie hinten in seinen Hosenbund geschoben. Der Mexikaner blutete stark aus mehreren Stellen am Kopf und im Gesicht und hatte sich sicherlich zumindest eine schwere Gehirnerschütterung zugezogen. Wenn nicht erheblich Schlimmeres! Auf dem Boden unter ihm bildete sich eine besorgniserregende Blutlache. So wie dieser Haufen Elend da am Boden lag, würde er für die beiden keinerlei Gefahr mehr darstellen. Soviel war für Skip klar. Eine verhängnisvolle Fehleinschätzung seinerseits, die sich bitter rächen sollte.
Diese kaffeebraune Schönheit hatte es Skip bereits beim ersten Anblick angetan. In dem Moment, da sie so hilflos und eingeschüchtert an dem kleinen Info-Pult der Bank stand und während er zu ihr rüber blickte verlegen auf ihre Hände sah, stellte er sich vor, was er mit ihr alles anstellen würde und konnte dabei nicht verhindern, dass er einen Steifen bekam. Gleichzeitig war er sich aber auch dessen bewusst, dass alleine die Tatsache über Derartiges in diesem Augenblick nachzudenken, ziemlich krank war.
Plötzlich glaubte Skip, hinter sich eine Bewegung wahrgenommen zu haben. Während seines kleinen Tagtraums hatte er alles andere um sich herum vergessen. Und unabhängig von dem jungen Bankangestellten zu seinen Füßen, war da ja noch der - wenn auch nicht unerheblich verletzte - Wachmann. Blitzartig wirbelte Skip herum, doch der Mexikaner lag ebenfalls noch immer am Boden. Allerdings war es ihm zwischenzeitlich gelungen, sich auf den Rücken zu drehen. Sein rechter Arm lag leicht verdreht darunter, so dass Skip die Hand des Mannes nicht sehen konnte.
Der Mexikaner sah ihn mit einem seltsam entrückten Blick an. „Jungs, lasst doch den Scheiß! Noch ist nicht wirklich etwas Schlimmes passiert.“ Der Wachmann sprach mit einem eigenartigen Unterton in seiner wohlklingend sonoren Stimme, der Skip hellhörig werden ließ. Er war sich nicht ganz sicher, was er davon halten sollte. „Halt einfach die Klappe! Oder willst du für Geld sterben, das dir gar nicht gehört?“ Er rechnete auf die von ihm gestellte Frage nicht wirklich mit einer Antwort.
„Wollt ihr etwa für Geld sterben, das euch nicht gehört?“, stellte der Mexikaner die Gegenfrage.
Skip stutzte, gab sich dann aber betont kaltschnäuzig. „Hör zu Mex! Wie du bereits treffend festgestellt hast, ist eigentlich noch nichts passiert. Und wenn es nach mir geht, bleibt das auch so!“ Er legte eine kurze Pause ein und sah den Verletzten eindringlich an. Als wollte er sich versichern, dass der Wachmann seinen Ausführungen folgen konnte. „Das Geld der Bank ist versichert. Und wenn wir hier weg sind, bekommst du bestimmt einen Orden für außerordentliche Tapferkeit an deine breite Brust geheftet. Jeder in diesem Raum hat gesehen, dass du es wirklich versucht hast. Also tu dir selbst einen Gefallen und belass es dabei!“
Trotz sichtlich großer Schmerzen, entgegnete der Angesprochene mit beinahe gutmütigem Gesichtsausdruck: „Ich kann euch aber nun einmal nicht so einfach hier rausspazieren lassen. Das verstehst du doch auch Junge, oder?“
Skip zuckte nervös mit den Mundwinkeln. Bisher hatte er geglaubt, die Situation zu kontrollieren. Entweder musste er bei dem Kerl zu hart zugeschlagen haben, oder der Wachmann verkannte aus angeborener Blödheit, dass Skip die besseren Argumente in seinen Händen hielt. Schließlich würde der Mexikaner doch nicht so suizidgefährdet sein, mit bloßen Händen auf ihn loszugehen!?
Demonstrativ drehte Skip sich nach rechts, so dass er seitlich zu dem Liegenden stand. Dann lupfte er den Mantel mit der freien Hand ein wenig nach hinten, damit der Wachmann in seinem Hosenbund den ihm entwendeten Revolver sehen konnte. „Ich glaube, wir haben uns verstanden mein Freund“, stellte Skip lapidar fest und wollte sich wieder Jack zuwenden, der langsam mal mit dem Hektiker fertig sein musste, als er gerade noch aus dem Augenwinkel eine neuerliche Bewegung des Wachmannes ausmachen konnte. Danach ging alles sehr schnell. In der Umkehrbewegung konnte Skip erkennen, dass der Wachmann in der Hand, die er zuletzt nicht hatte sehen können, weil der Mexikaner mit dem Rücken auf ihr gelegen hatte, eine 38er Stupsnase hielt. An alles hatte er gedacht. Nur nicht daran, den Niedergeschlagenen nach einer weiteren Waffe zu durchsuchen. Der Mexikaner musste sie aus einem am Unterschenkel befestigten Halfter gezaubert haben. Egal, wo auch immer das Teil herkam; Skip hatte diesen Kerl eindeutig unterschätzt.
Er starrte den sich wie in Zeitlupe nach hinten bewegenden Schlagbolzen der Waffe an, die der Wachmann nun für ihn unerwartet in seiner Riesenpranke hielt. In der Drehung brüllte Skip so etwas wie: Volle Deckung! und ließ sich dabei schräg seitwärts fallen. Während dieser Aktion zog er seinerseits den Abzug der Pumpgun durch. Sein Schuss jagte irgendwo in die Decke, denn beim Fallen hatte er die Waffe vollkommen verrissen. Er schloss bereits mit seinem Leben ab und erwartete nur noch den Geschoßaufprall der vom Wachmann abgegebenen Kugel. Doch er durfte zu seiner erneuten Verwunderung feststellen, dass auch der Mexikaner sein Ziel verfehlt hatte. Jedenfalls sein ursprünglich anvisiertes Ziel.
Der Wachmann, Skip und die kaffeebraune Schönheit hatten die ganze Zeit etwa in einer Flucht zueinander gestanden. Das heißt, der Wachmann hatte natürlich gelegen. Das viele Blut am Kopf des Mexikaners war ihm teilweise in die Augen gelaufen, was zur Folge hatte, dass dieser zuletzt nur die groben Konturen von Skip erkennen konnte. Selbst für einen ungeübten Schützen reichte die Halbdistanz ohne weiteres aus, um auch mit dieser Behinderung den gewünschten Effekt zu erzielen. Daneben zu schießen, war so gut wie unmöglich. Doch der Wachmann hatte sich für den Bruchteil einer Sekunde zu früh bewegt. Und weil Skip sich gerade rechtzeitig aus der Schusslinie bringen konnte, traf die Kugel nicht ihn, sondern die Schöne am Info-Schalter, die dort noch immer regungslos gestanden und Skip und den Wachmann verängstigt beobachtet hatte. Das Projektil schlug mitten in die Stirn der jungen Frau ein und riss ihren Kopf förmlich nach hinten weg.
Während Skip sich fragte, warum er noch immer lebte (denn während er die Pumpgun zunächst doch relativ zeitaufwendig erneut hatte durchladen müssen, hätte der Mexikaner bereits mindestens weitere zwei bis drei Schüsse auf ihn abfeuern können), konnte er eine Fassungslosigkeit in den Augen des Wachmannes ablesen, die ihm unmissverständlich klar machte, dass unmittelbar zuvor etwas geschehen sein musste, womit auch dieser abgebrühte Typ nicht gerechnet hatte. Und nachdem er einen flüchtigen Blick in die Richtung riskierte, die der Mexikaner bereits seit endlos langer Zeit zu fixieren schien, konnte er zwei Dinge feststellen: Diese aufregende Rassefrau stand nicht mehr an ihrem Platz. Dafür war das Informationspult voller Blutspritzer, die auch aus seiner Entfernung nicht zu ignorieren waren.
In dieser Sekunde setzte Skips Verstand aus. „Du miese Sau!!“, schrie er und seine Stimme überschlug sich dabei. Der Mexikaner zeigte daraufhin keinerlei Reaktion. Weder Skip noch sein Freund sollten je erfahren, dass der Wachmann soeben seine eigene Tochter erschossen hatte.
Dieser Zustand der Regungslosigkeit seitens des Mexikaners hielt an, bis Skip seine Pumpgun ein weiteres Mal cirka einen halben Meter vor dessen Kopf abfeuerte. Wie ein Besessener hielt er auf die Überreste des Mannes, der da, wo er daraufhin zielte, ursprünglich einen Kopf gehabt hatte. Wieder und wieder lud er die Pumpgun durch. Zielte auf den Brei aus Haut, Haaren, Hirnmasse, Blut und Knochenfragmenten, der sich mittlerweile vor ihm ausgebreitet hatte und heulte: „Du miese Sau! Du Arsch! Warum konntest du es nicht einfach bleiben lassen? Das hast du nun davon!“
Weder er selbst noch Jack hätten später sagen können, wie oft Skip auf diesen armen Kerl gefeuert hatte. Doch irgendwann machte die Waffe nur noch klack... klack... und nach dem dritten Klack ging Jack zu Skip, drückte die Waffe, die der immer noch versuchte erneut durchzuladen vorsichtig zur Seite und flüsterte mehr, als dass er es zu ihm sagte: „Es ist vorbei Mann, lass es gut sein.“
Daraufhin drehte Skip sich zu Jack und kreischte mit blutrot unterlaufenen Augen und Schaum vor dem Mund: „Hey, hast du das gesehen? Das ist etwas anderes, als auf Kürbisse zu schießen!“
Jack musste sich genau an der Stelle, wo er gerade stand, übergeben. Dabei entlud sich in etwa der Mageninhalt der vergangenen drei Tage. Er hatte schon die heftigsten Filme im Kino gesehen. Mit Zombies, Kannibalen, irren Schlitzern und sonstigen Kreaturen, deren cineastische Aufgabe einzig und alleine darin bestand, dem geneigten Zuschauer anschließend schlaflose Nächte zu bereiten. Doch das hier hatte er live erlebt. Es war etwas völlig anderes zu wissen, dass Filmstudios mit entsprechenden Requisiten arbeiteten, als selbst miterleben zu müssen, wie einem Menschen der Schädel mit einer Flinte weggeblasen wurde.
Es dauerte eine Weile, bis Jack sich wieder einigermaßen im Griff hatte. Skip hatte zwischenzeitlich das erbeutete Geld in zwei Leinensäcken verstaut und ging mit fragendem Blick auf Jack zu. Der hob in vornüber gebeugter Haltung eine Hand, um damit zu verstehen zu geben, dass er keine Hilfe benötigte. Aber der für ihn irrationale Gedanke an die gnadenlose Hinrichtung eines Unschuldigen durch seinen eigenen Freund, der weitere Tod einer unbeteiligten jungen Frau, die ihr ganzes Leben noch vor sich gehabt hatte und die Gewissheit, dass niemand von ihnen jemals wieder der sein würde, der er vor diesem schicksalhaften Tag gewesen war, verstörten ihn zutiefst und drehten ihm den Magen aufs Neue um. Die schrecklichen Bilder der Ereignisse, die sich in seinem Hirn eingebrannt hatten und in permanentem Rhythmus sequentiell vor seinem geistigen Auge abliefen, würden ihn mit gottverdammter Sicherheit bis an sein Lebensende verfolgen.
Skip hingegen hatte seine Selbstbeherrschung wieder vollständig zurück gewonnen. Während er mit aufreizender Gelassenheit an Jack vorbei marschierte, sagte er: „Komm jetzt! Lass uns hier schnellstens verschwinden, bevor wir noch ernsthafte Probleme kriegen.“ Ohne die beiden verbliebenen und noch lebenden Angestellten der Bank eines weiteren Blickes gewürdigt zu haben, die sich in panischer Angst in den hintersten Winkel des Schalterraumes verkrochen hatten, verließen sie die Bank. Der Spuk hatte ganze siebeneinhalb Minuten gedauert und sie waren weg, lange bevor die örtliche Polizei eintraf.
Der Mann mit dem schwarzen Aktenkoffer klopfte an die Tür des unscheinbaren Büros und trat ein, bevor er dazu aufgefordert wurde. Ohne den Blick von dem vor ihr auf dem Schreibtisch liegenden Groschenroman abzuwenden, fragte die aufgedonnerte Blondine, die seines Erachtens nach die besten Tage bereits hinter sich hatte: „Was kann ich für sie tun, Mister?“
„Ich möchte zu Mr. Heffron.“
„Haben sie einen Termin?“
„Habe ich nicht. Ich bin auf der Durchreise.“
„Dann tut es mir leid. Aber Mr. Heffron ist sehr beschäftigt.“
„Das ist verständlich. Zumal gerade in dieser Woche eine seiner Banken ausgeraubt worden ist.“
Der letzte Satz hatte das Interesse der Blondine nun zumindest dahingehend gelenkt, dass sie ihr Gegenüber erstmals ansah. Vor ihr stand ein jungenhafter Typ mit Sonnyboy-Lächeln in gepflegtem Business-Outfit. Irritiert durch seine auf sie erfreulich angenehm wirkende Erscheinung in Kombination mit seiner zuvor getroffenen Bemerkung stotterte sie: „W…wie bitte?“
„Nun, ich denke, dass Mr. Heffron sich wenigstens einmal anhören könnte, was ich anzubieten habe. Es wird ganz sicher zu seinem Schaden nicht sein. Aber das möchte ich mit ihm persönlich besprechen.“
Die Aufgedonnerte überlegte kurz und kam zu der Erkenntnis, dass dieser Kerl sich von ihr ohnehin nicht abweisen lassen würde. Sollte sich ihr Chef der Sache annehmen. Vielleicht war Heffron ihr später sogar dankbar dafür, dass sie den Typ nicht einfach abgewimmelt hatte. Sie griff zum Telefonhörer und tippte eine Kurzwahlnummer ein.
„Ja! Doris, was ist? Ich hatte doch gesagt, dass ich nicht gestört werden will!“
„Entschuldigung Mr. Heffron. Aber hier ist Besuch für sie und er besteht darauf, dass sie ihn empfangen. Ein Mister… Ach… Wie war doch gleich ihr Name?“
„Walker. Skip Walker. Von Walker Nubirt Industries. Ihr Spezialist für Sicherheitssysteme!“
Sämtliche Rechte bei Frank S., Düsseldorf
Teil des Sammelbandes "UND DER TEUFEL LÄCHELT IMMER NOCH"Abwechselnd waren sie schließlich auch in die Bank gegangen und hatten versucht, sich möglichst unauffällig im Schalterraum zu bewegen. Dabei hatten sie unsinnige Zahlen wie Texte auf irgendwelche Formulare gekritzelt, bemüht währenddessen, sich die Anzahl der Mitarbeiter sowie die Positionen ihrer Arbeitsplätze einzuprägen. Skip Walker glaubte zu wissen, worauf es ankam.
Die Bank war immer mit drei Angestellten besetzt. Eine dunkelhäutige Schönheit, etwa in seinem Alter, langweilte sich meistens an einem Informationsschalter. Ein ziemlich junger Kerl, den Skip auf höchstens Mitte zwanzig schätzte und der dieser Frau ständig verstohlene Blicke zuwarf, war für den Kassenbereich verantwortlich. Und letztlich war da noch ein um die vierzig Jahre alter Glatzkopf, der unentwegt hektische Betriebsamkeit an einem im hinteren Winkel der Bank platzierten Schreibtisch zur Schau stellte. Auch wenn kaum Kundenverkehr in der Bank zu verzeichnen war. Er war offensichtlich derjenige, der das Sagen hatte.
Wie sie festgestellt hatten, verfügte der Tresor der Bank noch nicht über eines jener Zeitschloss-Systeme, welches es den Bediensteten nur zu ganz bestimmten Zeiten oder mit erheblicher Verzögerung erlaubt hätte, diesen zu öffnen. Zudem fand weder im Innen-, noch im Außenbereich der Bank eine Videoüberwachung statt. Eigentlich die besten Voraussetzungen für ihr Vorhaben.
Der wenig vertrauenerweckend aussehende Mittfünfziger in seiner Phantasieuniform, der jedes Betreten oder Verlassen der Schalterhalle eines Kunden mit einem mehr oder weniger freundlichen Kopfnicken quittierte, beunruhigte Skip allerdings. Der Kerl war ein richtiger Hüne. Wahrscheinlich Mexikaner und mindestens 2,10 Meter groß! Mit einem Kreuz wie eine Bahnschranke. Doch war es vielmehr das, was er rechts an seiner Hüfte in einem schwarzen Lederhalfter trug, das Skip ernsthafte Sorgen bereitete. Als jemand, der sich für Waffen aller Art interessierte seit er denken konnte, identifizierte er einen Revolver Marke 44er S&W. Und der Typ vermittelte nicht den Eindruck, als würde er lange fackeln, bevor er das Ding auch tatsächlich einsetzte. Bestimmt ging man in der Bank davon aus, dass niemand bescheuert genug sein konnte zu glauben, er könnte diese ausrauben, um dann auch noch mit dem erbeuteten Geld lebend und an einem Stück an dieser in Fleisch gepressten Dampflok vorbeizukommen. Sie mussten demnach da reinmarschieren, und sich zuallererst diesen Kerl vorknöpfen. Von anderer Seite war danach sicher kaum Widerstand zu erwarten. Letztlich, davon ging Skip aus, war das Überraschungsmoment auf ihrer Seite.
Obwohl... Langsam begann er daran zu zweifeln. Diese Stadt war nicht so klein, dass sich sämtliche Einwohner per Handschlag begrüßt hätten. Allerdings sollten zwei Fremde in der Bank wahrscheinlich ebenso auffallen, wie ein Rottweiler auf einem Kinderspielplatz. Und sein Freund Jack hatte ihm erzählt, dass er am Schalter einige Scheine hatte wechseln müssen, weil der Mexikaner ihn so seltsam angesehen und dabei mit Zeige- und Mittelfinger seiner rechten Hand beiläufig mehrfach auf den Knauf seiner Waffe getippt hatte. Nur hatten sie schon zuviel Zeit dafür verwendet, die Bank auszukundschaften und sich daher schließlich geeinigt, trotz des nicht zu unterschätzenden Risikos den geplanten Überfall durchzuziehen. Du weißt genau so gut wie ich, dass wir unsere Firma anders nicht mehr retten können. Wir stehen kurz vor der Pleite! Wenn wir es jetzt nicht tun, machen wir es nie! hatte Skip ihn angebrüllt und das hatte genügt, um auch Jack Nubirt von der Notwendigkeit zu überzeugen, ihr Vorhaben umgehend in die Tat umzusetzen.
Skip fischte aus dem Kofferraum seines abseits der Hauptstraße geparkten Wagens eine Pumpgun. Geschickt ließ er sie unter dem grauen Staubmantel verschwinden, den er sich eigens samt weiteren Utensilien für dieses Ereignis zuvor noch besorgt hatte. Sein Freund war lediglich mit einem Baseball-Schläger bewaffnet. Es wäre sehr nachlässig gewesen, hätte nicht wenigstens einer von beiden eine Feuerwaffe zum eigenen Schutz dabei gehabt. Zudem würde sie ihrer Forderung den entsprechend benötigten Nachdruck verleihen. Letzten Endes waren beide aber übereingekommen, niemand bei dem Bankraub zu verletzen. Die einzige Gefahr für sie schien von dem Wachmann auszugehen. Wenn Skip den in Schach halten konnte, würde es keine Probleme geben. So sah es jedenfalls ihr naiver Plan vor. Auf den Straßen war es ruhig, keine Menschenseele war zu sehen.
12:50 Uhr mittags, zehn Minuten vor Schließung der Bank. Gemessenen Schrittes und ohne jede Eile marschierten sie auf den Eingang zu, der unmittelbar in die Schalterhalle führte. Wenige Schritte davor zogen beide ihre Sturmhauben über die Köpfe und Skip lehnte sich mit der linken Schulter gegen die Tür aus verstärktem Sicherheitsglas, um diese zu öffnen. Gleichzeitig brachte er die Pumpgun mit einer so fließenden und ebenso eleganten Bewegung in Anschlag, als hätte er seinen Lebtag nichts anderes gemacht. Es befanden sich keine Kunden mehr im Schalterraum. Bevor irgendjemand der Bankangestellten auch nur ansatzweise registrierte, was da gerade vor sich ging, stand Skip auch schon vor dem Mexikaner, der ihm in diesem Moment noch größer als beim letzten Mal erschien. Es war ihm bewusst: wenn er hier lange herumstand und überlegte, würde dieser Hüne ihn ungespitzt in den Boden stampfen. Ganz zu schweigen, was er danach mit seinem Freund anstellen würde. Kurzerhand und ohne jede Vorwarnung schlug er dem überrascht dreinschauenden Wachmann den Schaft seiner Waffe mit voller Wucht ins Gesicht. Der veränderte daraufhin den Gesichtsausdruck nur unwesentlich, sackte allerdings unverzüglich eine Etage tiefer. In dem Augenblick, da er völlig ungläubig vor Skip kniete, was ihn nur geringfügig kleiner als diesen machte, hätte der beinahe Mitleid mit ihm bekommen. Sicherheitshalber schlug er dann aber ein zweites Mal gegen den Schädel des Mannes, was den Mexikaner endgültig zu Boden gehen ließ. „Okay Leute!“ Skip verfiel in einen Adrenalinrausch. „Es ist genau das, wonach es aussieht! Bleibt alle ganz locker! Und spielt nicht den Helden!“ Die typische Handbewegung beim Durchladen der Pumpgun sowie das dazugehörige Geräusch ließen niemand in dem Raum daran zweifeln, was anderenfalls passieren würde.
Skips Blick wanderte erst zu Jack: „Los! Du kümmerst dich um den Hektiker da hinten, der hat bestimmt den Schlüssel für den Safe. Er soll sich beeilen! Ich halte weiterhin den Wachmann in Schach. Schätze, der kommt soeben wieder zu sich.“ und dann zu dem jungen Bankangestellten. „Du da! Komm her! Auf den Bauch legen und Hände hinter dem Kopf verschränken. Sonst knallt’s!“
Die Frau am Infoschalter schien vor Angst zur Salzsäule erstarrt zu sein. Skips Meinung nach sollte sie ruhig dort stehen bleiben. Was konnte sie schon ausrichten? „Hände auf das Pult! Ich will deine Hände sehen!“, fuhr er sie forsch an.
Jack hatte bis zum Zeitpunkt, da Skip ihn angesprochen hatte, ebenfalls wie versteinert dagestanden und das für ihn unglaubliche Szenario verfolgt. Seit sie die Bank betreten hatten, war höchstens eine Minute vergangen. Aber es war bereits alles anders gelaufen, als besprochen. Niemand sollte bei dem Überfall verletzt werden und nun lag der Wachmann der Bank mehr tot als lebendig am Boden, nur weil Skip offensichtlich durchdrehte. Zwangsläufig erwachte Jack aus seinem nahezu lethargischen Zustand. So unberechenbar Skip in den letzten Sekunden geworden zu sein schien, so wichtig war es, dass er selbst nun schnellstmöglich seinen ihm aufgetragenen Part erledigte und ab sofort alles so lief, wie sie es geplant hatten. Womöglich würde sein Freund anderenfalls noch anfangen, wild um sich zu schießen. Und das durfte auf gar keinen Fall passieren!
Inzwischen hatte Skip dem Wachmann die 44er abgenommen und sie hinten in seinen Hosenbund geschoben. Der Mexikaner blutete stark aus mehreren Stellen am Kopf und im Gesicht und hatte sich sicherlich zumindest eine schwere Gehirnerschütterung zugezogen. Wenn nicht erheblich Schlimmeres! Auf dem Boden unter ihm bildete sich eine besorgniserregende Blutlache. So wie dieser Haufen Elend da am Boden lag, würde er für die beiden keinerlei Gefahr mehr darstellen. Soviel war für Skip klar. Eine verhängnisvolle Fehleinschätzung seinerseits, die sich bitter rächen sollte.
Diese kaffeebraune Schönheit hatte es Skip bereits beim ersten Anblick angetan. In dem Moment, da sie so hilflos und eingeschüchtert an dem kleinen Info-Pult der Bank stand und während er zu ihr rüber blickte verlegen auf ihre Hände sah, stellte er sich vor, was er mit ihr alles anstellen würde und konnte dabei nicht verhindern, dass er einen Steifen bekam. Gleichzeitig war er sich aber auch dessen bewusst, dass alleine die Tatsache über Derartiges in diesem Augenblick nachzudenken, ziemlich krank war.
Plötzlich glaubte Skip, hinter sich eine Bewegung wahrgenommen zu haben. Während seines kleinen Tagtraums hatte er alles andere um sich herum vergessen. Und unabhängig von dem jungen Bankangestellten zu seinen Füßen, war da ja noch der - wenn auch nicht unerheblich verletzte - Wachmann. Blitzartig wirbelte Skip herum, doch der Mexikaner lag ebenfalls noch immer am Boden. Allerdings war es ihm zwischenzeitlich gelungen, sich auf den Rücken zu drehen. Sein rechter Arm lag leicht verdreht darunter, so dass Skip die Hand des Mannes nicht sehen konnte.
Der Mexikaner sah ihn mit einem seltsam entrückten Blick an. „Jungs, lasst doch den Scheiß! Noch ist nicht wirklich etwas Schlimmes passiert.“ Der Wachmann sprach mit einem eigenartigen Unterton in seiner wohlklingend sonoren Stimme, der Skip hellhörig werden ließ. Er war sich nicht ganz sicher, was er davon halten sollte. „Halt einfach die Klappe! Oder willst du für Geld sterben, das dir gar nicht gehört?“ Er rechnete auf die von ihm gestellte Frage nicht wirklich mit einer Antwort.
„Wollt ihr etwa für Geld sterben, das euch nicht gehört?“, stellte der Mexikaner die Gegenfrage.
Skip stutzte, gab sich dann aber betont kaltschnäuzig. „Hör zu Mex! Wie du bereits treffend festgestellt hast, ist eigentlich noch nichts passiert. Und wenn es nach mir geht, bleibt das auch so!“ Er legte eine kurze Pause ein und sah den Verletzten eindringlich an. Als wollte er sich versichern, dass der Wachmann seinen Ausführungen folgen konnte. „Das Geld der Bank ist versichert. Und wenn wir hier weg sind, bekommst du bestimmt einen Orden für außerordentliche Tapferkeit an deine breite Brust geheftet. Jeder in diesem Raum hat gesehen, dass du es wirklich versucht hast. Also tu dir selbst einen Gefallen und belass es dabei!“
Trotz sichtlich großer Schmerzen, entgegnete der Angesprochene mit beinahe gutmütigem Gesichtsausdruck: „Ich kann euch aber nun einmal nicht so einfach hier rausspazieren lassen. Das verstehst du doch auch Junge, oder?“
Skip zuckte nervös mit den Mundwinkeln. Bisher hatte er geglaubt, die Situation zu kontrollieren. Entweder musste er bei dem Kerl zu hart zugeschlagen haben, oder der Wachmann verkannte aus angeborener Blödheit, dass Skip die besseren Argumente in seinen Händen hielt. Schließlich würde der Mexikaner doch nicht so suizidgefährdet sein, mit bloßen Händen auf ihn loszugehen!?
Demonstrativ drehte Skip sich nach rechts, so dass er seitlich zu dem Liegenden stand. Dann lupfte er den Mantel mit der freien Hand ein wenig nach hinten, damit der Wachmann in seinem Hosenbund den ihm entwendeten Revolver sehen konnte. „Ich glaube, wir haben uns verstanden mein Freund“, stellte Skip lapidar fest und wollte sich wieder Jack zuwenden, der langsam mal mit dem Hektiker fertig sein musste, als er gerade noch aus dem Augenwinkel eine neuerliche Bewegung des Wachmannes ausmachen konnte. Danach ging alles sehr schnell. In der Umkehrbewegung konnte Skip erkennen, dass der Wachmann in der Hand, die er zuletzt nicht hatte sehen können, weil der Mexikaner mit dem Rücken auf ihr gelegen hatte, eine 38er Stupsnase hielt. An alles hatte er gedacht. Nur nicht daran, den Niedergeschlagenen nach einer weiteren Waffe zu durchsuchen. Der Mexikaner musste sie aus einem am Unterschenkel befestigten Halfter gezaubert haben. Egal, wo auch immer das Teil herkam; Skip hatte diesen Kerl eindeutig unterschätzt.
Er starrte den sich wie in Zeitlupe nach hinten bewegenden Schlagbolzen der Waffe an, die der Wachmann nun für ihn unerwartet in seiner Riesenpranke hielt. In der Drehung brüllte Skip so etwas wie: Volle Deckung! und ließ sich dabei schräg seitwärts fallen. Während dieser Aktion zog er seinerseits den Abzug der Pumpgun durch. Sein Schuss jagte irgendwo in die Decke, denn beim Fallen hatte er die Waffe vollkommen verrissen. Er schloss bereits mit seinem Leben ab und erwartete nur noch den Geschoßaufprall der vom Wachmann abgegebenen Kugel. Doch er durfte zu seiner erneuten Verwunderung feststellen, dass auch der Mexikaner sein Ziel verfehlt hatte. Jedenfalls sein ursprünglich anvisiertes Ziel.
Der Wachmann, Skip und die kaffeebraune Schönheit hatten die ganze Zeit etwa in einer Flucht zueinander gestanden. Das heißt, der Wachmann hatte natürlich gelegen. Das viele Blut am Kopf des Mexikaners war ihm teilweise in die Augen gelaufen, was zur Folge hatte, dass dieser zuletzt nur die groben Konturen von Skip erkennen konnte. Selbst für einen ungeübten Schützen reichte die Halbdistanz ohne weiteres aus, um auch mit dieser Behinderung den gewünschten Effekt zu erzielen. Daneben zu schießen, war so gut wie unmöglich. Doch der Wachmann hatte sich für den Bruchteil einer Sekunde zu früh bewegt. Und weil Skip sich gerade rechtzeitig aus der Schusslinie bringen konnte, traf die Kugel nicht ihn, sondern die Schöne am Info-Schalter, die dort noch immer regungslos gestanden und Skip und den Wachmann verängstigt beobachtet hatte. Das Projektil schlug mitten in die Stirn der jungen Frau ein und riss ihren Kopf förmlich nach hinten weg.
Während Skip sich fragte, warum er noch immer lebte (denn während er die Pumpgun zunächst doch relativ zeitaufwendig erneut hatte durchladen müssen, hätte der Mexikaner bereits mindestens weitere zwei bis drei Schüsse auf ihn abfeuern können), konnte er eine Fassungslosigkeit in den Augen des Wachmannes ablesen, die ihm unmissverständlich klar machte, dass unmittelbar zuvor etwas geschehen sein musste, womit auch dieser abgebrühte Typ nicht gerechnet hatte. Und nachdem er einen flüchtigen Blick in die Richtung riskierte, die der Mexikaner bereits seit endlos langer Zeit zu fixieren schien, konnte er zwei Dinge feststellen: Diese aufregende Rassefrau stand nicht mehr an ihrem Platz. Dafür war das Informationspult voller Blutspritzer, die auch aus seiner Entfernung nicht zu ignorieren waren.
In dieser Sekunde setzte Skips Verstand aus. „Du miese Sau!!“, schrie er und seine Stimme überschlug sich dabei. Der Mexikaner zeigte daraufhin keinerlei Reaktion. Weder Skip noch sein Freund sollten je erfahren, dass der Wachmann soeben seine eigene Tochter erschossen hatte.
Dieser Zustand der Regungslosigkeit seitens des Mexikaners hielt an, bis Skip seine Pumpgun ein weiteres Mal cirka einen halben Meter vor dessen Kopf abfeuerte. Wie ein Besessener hielt er auf die Überreste des Mannes, der da, wo er daraufhin zielte, ursprünglich einen Kopf gehabt hatte. Wieder und wieder lud er die Pumpgun durch. Zielte auf den Brei aus Haut, Haaren, Hirnmasse, Blut und Knochenfragmenten, der sich mittlerweile vor ihm ausgebreitet hatte und heulte: „Du miese Sau! Du Arsch! Warum konntest du es nicht einfach bleiben lassen? Das hast du nun davon!“
Weder er selbst noch Jack hätten später sagen können, wie oft Skip auf diesen armen Kerl gefeuert hatte. Doch irgendwann machte die Waffe nur noch klack... klack... und nach dem dritten Klack ging Jack zu Skip, drückte die Waffe, die der immer noch versuchte erneut durchzuladen vorsichtig zur Seite und flüsterte mehr, als dass er es zu ihm sagte: „Es ist vorbei Mann, lass es gut sein.“
Daraufhin drehte Skip sich zu Jack und kreischte mit blutrot unterlaufenen Augen und Schaum vor dem Mund: „Hey, hast du das gesehen? Das ist etwas anderes, als auf Kürbisse zu schießen!“
Jack musste sich genau an der Stelle, wo er gerade stand, übergeben. Dabei entlud sich in etwa der Mageninhalt der vergangenen drei Tage. Er hatte schon die heftigsten Filme im Kino gesehen. Mit Zombies, Kannibalen, irren Schlitzern und sonstigen Kreaturen, deren cineastische Aufgabe einzig und alleine darin bestand, dem geneigten Zuschauer anschließend schlaflose Nächte zu bereiten. Doch das hier hatte er live erlebt. Es war etwas völlig anderes zu wissen, dass Filmstudios mit entsprechenden Requisiten arbeiteten, als selbst miterleben zu müssen, wie einem Menschen der Schädel mit einer Flinte weggeblasen wurde.
Es dauerte eine Weile, bis Jack sich wieder einigermaßen im Griff hatte. Skip hatte zwischenzeitlich das erbeutete Geld in zwei Leinensäcken verstaut und ging mit fragendem Blick auf Jack zu. Der hob in vornüber gebeugter Haltung eine Hand, um damit zu verstehen zu geben, dass er keine Hilfe benötigte. Aber der für ihn irrationale Gedanke an die gnadenlose Hinrichtung eines Unschuldigen durch seinen eigenen Freund, der weitere Tod einer unbeteiligten jungen Frau, die ihr ganzes Leben noch vor sich gehabt hatte und die Gewissheit, dass niemand von ihnen jemals wieder der sein würde, der er vor diesem schicksalhaften Tag gewesen war, verstörten ihn zutiefst und drehten ihm den Magen aufs Neue um. Die schrecklichen Bilder der Ereignisse, die sich in seinem Hirn eingebrannt hatten und in permanentem Rhythmus sequentiell vor seinem geistigen Auge abliefen, würden ihn mit gottverdammter Sicherheit bis an sein Lebensende verfolgen.
Skip hingegen hatte seine Selbstbeherrschung wieder vollständig zurück gewonnen. Während er mit aufreizender Gelassenheit an Jack vorbei marschierte, sagte er: „Komm jetzt! Lass uns hier schnellstens verschwinden, bevor wir noch ernsthafte Probleme kriegen.“ Ohne die beiden verbliebenen und noch lebenden Angestellten der Bank eines weiteren Blickes gewürdigt zu haben, die sich in panischer Angst in den hintersten Winkel des Schalterraumes verkrochen hatten, verließen sie die Bank. Der Spuk hatte ganze siebeneinhalb Minuten gedauert und sie waren weg, lange bevor die örtliche Polizei eintraf.
*
Der Mann mit dem schwarzen Aktenkoffer klopfte an die Tür des unscheinbaren Büros und trat ein, bevor er dazu aufgefordert wurde. Ohne den Blick von dem vor ihr auf dem Schreibtisch liegenden Groschenroman abzuwenden, fragte die aufgedonnerte Blondine, die seines Erachtens nach die besten Tage bereits hinter sich hatte: „Was kann ich für sie tun, Mister?“
„Ich möchte zu Mr. Heffron.“
„Haben sie einen Termin?“
„Habe ich nicht. Ich bin auf der Durchreise.“
„Dann tut es mir leid. Aber Mr. Heffron ist sehr beschäftigt.“
„Das ist verständlich. Zumal gerade in dieser Woche eine seiner Banken ausgeraubt worden ist.“
Der letzte Satz hatte das Interesse der Blondine nun zumindest dahingehend gelenkt, dass sie ihr Gegenüber erstmals ansah. Vor ihr stand ein jungenhafter Typ mit Sonnyboy-Lächeln in gepflegtem Business-Outfit. Irritiert durch seine auf sie erfreulich angenehm wirkende Erscheinung in Kombination mit seiner zuvor getroffenen Bemerkung stotterte sie: „W…wie bitte?“
„Nun, ich denke, dass Mr. Heffron sich wenigstens einmal anhören könnte, was ich anzubieten habe. Es wird ganz sicher zu seinem Schaden nicht sein. Aber das möchte ich mit ihm persönlich besprechen.“
Die Aufgedonnerte überlegte kurz und kam zu der Erkenntnis, dass dieser Kerl sich von ihr ohnehin nicht abweisen lassen würde. Sollte sich ihr Chef der Sache annehmen. Vielleicht war Heffron ihr später sogar dankbar dafür, dass sie den Typ nicht einfach abgewimmelt hatte. Sie griff zum Telefonhörer und tippte eine Kurzwahlnummer ein.
„Ja! Doris, was ist? Ich hatte doch gesagt, dass ich nicht gestört werden will!“
„Entschuldigung Mr. Heffron. Aber hier ist Besuch für sie und er besteht darauf, dass sie ihn empfangen. Ein Mister… Ach… Wie war doch gleich ihr Name?“
„Walker. Skip Walker. Von Walker Nubirt Industries. Ihr Spezialist für Sicherheitssysteme!“
Sämtliche Rechte bei Frank S., Düsseldorf
vip
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