"Miller goes shopping" - Eine Kurzgeschichte von Nick Evans (03.05.2010) PART 1

Als Daniel Miller an diesem Morgen erwachte, stand die Sonne bereits hoch am Himmel. Soweit alles wie gehabt. Dennoch schien irgend etwas anders zu sein an jenem Tag im April. Vielleicht nur ein Gefühl; vielleicht mehr.
Er blinzelte, um seine Augen behutsam an das grelle Licht zu gewöhnen. Irgendwer oder irgendwas hatte ihn geweckt. Die Parkbank war hart. Aber das war es nicht. Wahrscheinlicher war, dass ihn die Jugendlichen, die sich gegenüber lautstark die nächsten Spielzüge quer über den zum Footballfeld umfunktionierten aber ansonsten gepflegten Rasen zubrüllten, aus seinen Träumen gerissen hatten.
Das war schon in Ordnung. Meistens machten seine Träume ihn eh nur fertig. Denn während andere von Heldenmut oder Reichtum träumten, blieb Miller selbst dort ein Versager.

Er stemmte seinen Kadaver hoch und versuchte in eine halbwegs aufrechte Sitzposition zu gelangen. Ihn fröstelte ein wenig obwohl er einen Mantel an hatte und die Temperaturen sich im zweistelligen Bereich bewegten. Dann registrierte er, dass seine Sachen feucht waren. Bitte lass es nicht das sein, was ich denke! Tatsächlich hatte es nur die ganze Nacht hindurch geregnet. Die Luft um ihn herum waberte, so dass er seine Umgebung nur wie durch einen Schleier wahrnahm. Verdammt, das sind meine Klamotten, die wabern. Die inzwischen recht intensiven Sonnenstrahlen verdunsteten die Feuchtigkeit, die ihm noch in der Kleidung steckte, und bei dem Gestank nach Urin und abgestandener Kotze, der ihm in die Nase stieg, wäre es ihm beinahe erneut hochgekommen. Ein trockenes Husten, ein kontrolliertes Würgen – dann war der Anfall vorbei.

Daniel Miller suchte den Boden in der näheren Umgebung nach Zigarettenstummeln ab, fand den Rest einer nur zur Hälfte gerauchten und dann achtlos weggeworfenen Kippe und steckte sie sich zwischen die aufgesprungenen Lippen. Der tägliche Überlebenskampf hatte begonnen.

Miller war vor etwa zwei Stunden aufgestanden. So genau wusste er es nicht, da er keine Uhr besaß. Abgesehen davon, dass der Besitz einer Uhr nachts im Central Park nicht ganz ungefährlich war, weil es nur seinesgleichen anlockte, hätte er auch gar nichts damit anzufangen gewusst. Zeit war die einzige Sache, die er im Überfluss hatte. Sein Magen sagte ihm in der Regel, was die Stunde geschlagen hatte. Normalerweise, dachte er, würde ich in etwa um die Zeit die Vögel am Turtle Pond füttern. Aber an diesem Tag hatte er bis zu diesem Zeitpunkt selber weder etwas zu essen noch ein bisschen Kohle abgreifen können. Vielleicht könnten ja die Vögel zur Abwechslung mal mich füttern. Da konnte er lange warten. Die würden ihm was scheißen. Apropos...

Miller war jedes mal froh, wenn er diese für ihn unangenehmste Verrichtung des Tages hinter sich gebracht hatte. Einer wie er konnte es ohne Mühe schaffen, zumal in New York, sich 24 Stunden am Tag unter zigtausenden von Menschen zu bewegen, ohne von ihnen wahrgenommen zu werden. 
Aber sobald er einen Ort aufsuchte, an dem sie sich mit seinesgleichen auf engstem Raum konfrontiert sahen, kam es nur zu oft vor, dass sie ihre sprichwörtliche coolness für den Moment vergaßen.
Möglicherweise war es eine unbewusste Reaktion, möglicherweise auch nicht: jedenfalls erkannte er den Widerwillen in ihren Blicken. Kein Wunder, dass Amanda ihn verlassen hatte. Er konnte sich ja nicht einmal selber leiden.

Manchmal fand man in den Müllkübeln entlang der Mall Promenade noch was Brauchbares zum essen. Hier ein halbes Sandwich, da einen angefressenen Hot Dog oder einen Yodel...
Es war Essenszeit, und der Magen hing Miller in den Knien, also begann er nun damit, die Eimer zu durchstöbern und wurde auch bald fündig. In der quadratischen Schachtel waren noch zwei Stücke Pizza übrig, und er hatte einen Blaubeermuffin – kaum gebraucht – und einen viertel Donut; beinahe ein Festmahl, wenn der Hunger erstmal die Geschmacksnerven abgetötet hatte.
Dennoch fiel es nicht leicht, auf Dauer auf die grundlegenden und einfachsten Dinge zu verzichten; ein richtiges Heim, richtiges Essen, das nicht erst jemand vorher weggeworfen hatte oder vielleicht sogar mal ein Bier in der Kneipe (auch wenn Miller, entgegen der weit verbreiteten Meinung, dass jeder Penner automatisch auch ein Süffel sei, selten Alkohol konsumierte). Die meisten Leute wussten gar nicht, wie gut es ihnen ging.

Der Stand der Sonne zeigte Miller, dass es um die Mittagszeit sein musste. Sein Rücken schmerzte, und die Stelle, an der sein Seesack ihm am Buckel klebte, war nassgeschwitzt. Also entschied er, dass er sich eine Ruhepause verdient hatte. Wenn man erstmal eine gewisse Zeit seines Lebens mit Nichtstun verbracht hatte, so glaubte Miller festgestellt zu haben, während er auf einer Bank vor sich hin sinnierte, konnte man eine Menge über sich lernen.
Zum Beispiel, dass ein zugewuchertes Gesicht einem in manchen Nächten einen gewissen Schutz gegen die Kälte bieten konnte. Und dass so ein Bart nach einer Weile einen ziemlich üblen Geruch verströmte, wenn man nicht mehr so regelmäßig zum duschen kam, wie man es aus früheren Zeiten vielleicht mal gewohnt war. Und dass überhaupt das ganze Leben anfing zu stinken.

Man konnte allerdings auch eine Menge über andere Menschen lernen. Über Menschen, die sich in einer Tour über ihre Jobs beschwerten, und dann gingen sie abends in die Kneipe und lamentierten weiter darüber, wie beschissen sie vom Leben behandelt wurden und tranken ihr Bier und ihre Kurzen, und dann gingen sie dazu über, ihre Frauen vor wildfremden Leuten runter zu machen. Und dann wurde gelacht und weiter getrunken, und wenn die Frau Glück hatte, schlief der Alte direkt ein, wenn er um Mitternacht (denn er war ja ein verantwortungsvoller Familienvorstand, der am nächsten Morgen früh raus musste, damit Frau und Kinder nicht verhungerten) volltrunken nach Hause kam.
Wenn sie Pech hatte, gab's erstmal was in die Fresse, und dann durfte sie sich nochmal in die Küche stellen um dem Arschloch was zu essen zu machen, und zur Belohnung kriegte sie es anschließend noch ordentlich besorgt und hoffte in dieser ganzen Zeit, während sie gegen ihren Ekel ankämpfte, nur darauf, dass wenigstens die Kinder tief und fest genug schliefen, damit sie am nächsten Tag nicht einmal mehr diese bohrenden, unangenehmen Fragen stellten, warum Daddy sie nicht mehr lieb hatte und...

Daniel hatte auch mal eine Familie gehabt. Aber Amanda und die Kinder hatten ihn verlassen.
Er hatte schon von Ex-Ehepartnern gehört, die nach der Trennung ein freundschaftliches Verhältnis pflegten. Ein freundschaftliches Gespräch – das war auch so eine Sache, die jemand wie er manchmal vermisste. Aber Freundschaft hin oder her: das traf auf ihn und Amanda nicht zu. Er hatte weder von ihr noch den Kindern je wieder etwas gehört. Die Scheidungspapiere lagen wahrscheinlich immer noch beim Anwalt und warteten darauf, dass er seinen Namen darunter setzte. Und er glaubte, sich zu erinnern, dass auch er mal einen Job gehabt hatte.

Daniel musste unwillkürlich lächeln: war es denn tatsächlich möglich? Irgendetwas tief in seinem Inneren sagte ihm, dass er sogar Spaß an seiner Arbeit gehabt hatte. Er versuchte sich vorzustellen, wie er in Anzug und Krawatte die Bank betrat und anderen Anzug- und Krawattenträgern einen Kredit aufschwatzte oder einem jungen Paar ein Haus oder wie er Geld für die Mafia wusch. Nein, das war's eher nicht.

Vielleicht in einer schicken Uniform hinten auf dem Trittbrett eines Müllwagens? Schon eher. Erfahrung mit Müll hatte er ja zumindest in den letzten...verdammt, er spürte ein leichtes Schwindelgefühl in sich aufsteigen, wie lange denn nun schon? An manchen Tagen, wenn er Lust hatte, war er das gesamte Areal abgelaufen, nur um die Zeit totzuschlagen.
Er kannte den Central Park sicher wie kaum ein anderer. Er wusste, respektive vermutete, dass er, seit er den Central Park quasi zu seinem neuen zu Hause auserkoren hatte, diesen nie verlassen hatte. Aus irgendeinem Grund, der ihm gar nicht bewusst war, jagte ihm die Welt da draußen eine Höllenangst ein.
Wie lange musste einer hier verbracht haben, um sich so gut auszukennen wie er? Er war sich nicht sicher, ob er die Antwort wirklich wissen wollte.

Immer wenn Daniel Miller seine Ruhe haben wollte, verzog er sich unter eine der Brücken rund um das Jacqueline Kennedy Onassis Reservoir. Eigentlich wollte er das die meiste Zeit. Aber in manchen Augenblicken fehlte ihm ein Gespräch mit irgendeinem, den er nicht mit Brot füttern musste, damit der ihm zuhörte. Der ihm vielleicht gelegentlich auch mal eine Antwort gab. Oder einen Antrieb. Notfalls einen Arschtritt um wieder auf die Beine zu kommen. Denn irgendeine Stimme sagte ihm, dass er sich das Leben, so wie er es jetzt lebte, nicht einfach ausgesucht hatte.
Aber die einzige Stimme, die er hörte, war die in seinem Kopf, und die wusste er nicht zu deuten. Die letzte Unterhaltung, an die er sich erinnerte, hatte er mit einem jungen Cop geführt, der ihn unvermittelt angesprochen hatte.

„Hey, Mann! Du hast da irgendwas in deinem Bart.“

„Ich weiß, Officer. Hab mir noch was zum Abendessen übrig gelassen.“

„Aber es bewegt sich.“

„Ich weiß; ich jag mir mein Essen gerne selber.“

Der Bulle hatte nur ungläubig den Kopf geschüttelt und seine Runde fortgesetzt. Die Cops, die hier manchmal, aber nicht zu oft, ihre Runden drehten, waren normalerweise auch ziemlich locker drauf. Die hatten hier Besseres zu tun, als sich um einen wie ihn zu kümmern. Einige mochten diese friedlichen Spaziergänge im Park gar genießen. In irgendeinem kleinen Kaff in den Südstaaten hätte der Bulle sicher erstmal die Gummiknüppel-Polka auf Miller's Haupt getanzt.
Miller hatte keine Ahnung, warum er gerade in diesem Moment an diese Episode denken musste. Aber für den Bruchteil einer Sekunde zauberte die Erinnerung daran etwas ähnliches wie ein Lächeln auf sein Gesicht. Dann schlief er ein.

Als Daniel Miller das nächste mal die Augen aufschlug, dämmerte es bereits. Er war etwas verwirrt, denn er hatte einen seltsamen Traum gehabt. Das war nicht weiter ungewöhnlich. Er träumte oft seltsame Dinge; aber was ihn beunruhigte, war die Intensität des Traumes: er war genau hier unter der Brücke eingeschlafen, und ein Mann war zu ihm hin getreten und hatte ihn geweckt. Und obwohl er diesen Mann - der ihn ein wenig an Perry King, zu der Zeit, als sie Trio mit vier Fäusten gedreht hatten, erinnerte - im wahren Leben nicht kannte, erschien er ihm im Traum wie ein alter Freund.
Soweit so normal. Er schrieb es seinem Unterbewusstsein zu; irgendein Kerl vermutlich, der irgendwann mal neben ihm auf einer Parkbank gesessen hatte oder etwas in der Art. Auch die Örtlichkeit hatte sich verändert, und er hätte im Nachhinein nicht zu sagen vermocht, ob sie real oder seiner Fantasie entsprungen war, was auch nicht weiter ungewöhnlich war. Miller wusste, dass auch andere Menschen solche Träume hatten.

„Sieh in deine Tasche“, hatte der Mann zu ihm gesagt. Miller hatte ihn mit dem leicht verblödeten Gesichtsausdruck eines Mannes angesehen, der gerade von einer wildfremden Person geweckt worden war.

„SIEH, VERDAMMT NOCHMAL, IN DEINE TASCHE!“

Das war alles gewesen. Dann war er auf einmal wieder woanders, aber er wusste nicht, wo das war und hatte den Rest auch schon wieder vergessen, noch ehe er aufgewacht war. Nur dieser Kerl und dieser eine Satz: Sieh in deine Tasche – das war alles, was hängen geblieben war. Aber abseits dieser Intensität war es vor allen Dingen dieses sonderbare Gefühl, welches er schon morgens beim Aufwachen verspürt hatte und in diesem Moment gerade wieder, das ihn dazu veranlasste, seine Taschen zu durchsuchen.

Nachdem er sämtliche Taschen seines Mantels, des Hemdes und der Hose durchsucht hatte, schalt er sich selber einen Narren. Natürlich war das alles Blödsinn gewesen. Ein Traum eben nur.
Dann fiel sein Blick auf den Seesack, seinen ständigen Begleiter. Noch eine Tasche. Zumal eine, über deren kompletten Inhalt er sich nicht im Klaren war. Miller schleppte diesen verdammten Seesack nun schon wer-weiß-wie-lange mit sich herum und wusste nicht einmal genau, was sich alles darin befand.
Natürlich eine Decke, die ihn vor den kalten Nächten schützte; sogar Kleidung zum wechseln. Und sonst? Er suchte sich eine einigermaßen saubere Stelle unterhalb der Brücke, öffnete den Sack und begann den Inhalt ordentlich vor sich auszubreiten; eine Decke, Kleidung, Taschentücher, noch mehr Kleidung, eine Beanie, eine Flasche Haarshampoo (wo kam die denn her? So weit war er bisher noch nie in den Seesack vorgedrungen), noch mehr Kleidung und dann – ihm stockte der Atem – eine weitere Tasche; eine Art Rucksack, mehr eine Umhängetasche, olivgrün, wie ihn die Kids heute oft als Schultaschen verwendeten.
Miller zog ihn ganz aus dem Seesack heraus und öffnete auch diese Tasche. Und dann hielt er plötzlich ein Paket in den Händen; ein harter, nicht allzu schwerer Gegenstand, eingewickelt in Zeitungspapier. Miller brauchte das Paket nicht auszuwickeln um zu wissen, dass es sich hierbei um eine Waffe handelte, tat es aber dennoch.
Was er fand, war eine Glock 22, Kaliber .40 S&W, 16 Schuss (Miller ließ das Magazin heraus gleiten, warf einen kurzen Blick darauf und verriegelte wieder), voll geladen. Er war nicht einmal allzu sehr überrascht, dass er sich damit auskannte, und das hätte ihn, in Bezug auf die völlige Unwissenheit seine Vergangenheit betreffend, sicher beunruhigen sollen.
Tat es aber nicht. Vielmehr spielte Daniel Miller schon gedanklich die Möglichkeiten durch, die ihm in dieser neuen Situation offenstanden.



Jonathan Dworski führte einen kleinen Lebensmittelladen in der Columbus Avenue nahe der Central Park West. Er führte diesen Laden jetzt in der dritten Generation. Sein Großvater hatte ihn gegründet, nachdem er 1934 aus Nazi-Deutschland emigriert war, da er nicht naiv genug gewesen war, nicht zu wissen, was ihm unter der damaligen Regierung als polnischem Juden geblüht hätte. Er hatte damals nicht alles von seinem nicht ganz unbeträchtlichen Vermögen mit in die Neue Welt retten können. Allein beinahe ein Drittel davon war an Bestechungsgeldern, die seiner Flucht gedient hatten, in diverse Kanäle geflossen. Aber es hatte immer noch gereicht, um dieses kleine Geschäft hier in der Columbus Ave eröffnen zu können.

Jonathan Dworski selbst hatte den Laden 1993, nach längeren Diskussionen mit seinem Vater und der Pflichterfüllung der Familientradition, dass der Vater das Geschäft an seinen Sohn weitergab geschuldet, übernommen. Da war er gerade 30 Jahre alt gewesen und hatte eigentlich gänzlich andere Ziele verfolgt.
Inzwischen war er 47, hatte kaum noch Haare auf dem Kopf und jeden Tag das Gefühl, dass das Leben an ihm vorbeigerauscht war.
Während Dworski & son zu seiner Entstehungszeit noch den Zweck erfüllt hatte, eine Familie zu ernähren, war der Laden heute nicht mehr als ein geduldeter Anachronismus, dem die Malls in der näheren Umgebung zunehmend zu schaffen machten. Deswegen, und weil er obendrein ein knauseriger Hund war, hatte er während der gesamten 17 Jahre seiner Amtszeit nie einen Angestellten beschäftigt. Dafür achtete er peinlich genau darauf, dass die zwei Überwachungskameras, die wohl den größten Wert im gesamten Laden darstellten und ihm ein gewisses Gefühl von Sicherheit und Kontrolle vermittelten, stets in Ordnung waren und die gesamte Anlage einmal im Jahr gewartet wurde.
Aber diese vermeintliche Sicherheit konnte nur allzu leicht trügerischer Natur sein.

Es war bereits nach 21 Uhr, und Dworski hatte schon vor einigen Minuten den Laden abschließen wollen. Aber es war noch eine Frau mit ihrer kleinen Tochter – Dworski schätzte das Mädchen auf etwa 4 oder 5 Jahre – im Laden und konnte sich offenbar nicht entscheiden, was sie brauchte. Zudem war er bei der Abrechnung hängen geblieben und hatte darüber glatt die Zeit vergessen.

Als dann die Eingangstür aufschwang, ging sein Kopf ruckartig in die Richtung, aus der ihm sein Instinkt eine potentielle Gefahr signalisierte. Der Umstand, dass der Mann in seinem abgewetzten, vor Schmutz starrenden Mantel ziemlich abgerissen aussah und eine selbst gebastelte Sturmmaske trug, die nur Augen- und Mundpartie freiließen, schürte nicht gerade Dworski's Vertrauen in dessen ehrenwerte Absichten. Dennoch versuchte er nach außen hin Ruhe und Gelassenheit auszustrahlen.


„ Sorry, Mann, wir haben schon geschlossen.“

Es war ein Instinkt, ein blöder zugegebenermaßen, und das wusste Dworski in dem Moment, da die Worte über seine Lippen gekommen waren. Er wollte noch etwas hinterher schieben, um die Situation womöglich doch noch zu entschärfen. Aber da hatte der späte Besucher schon den Lauf einer Knarre auf ihn gerichtet, noch bevor Dworski selber an seine Flinte, eine Sauer Drilling, Kaliber .222 Rem, die er unter der Theke verstaut hatte, herankommen konnte.

„Quatsch keine Opern, du Arsch! Deine Borschtsch-Scheiße kannst du für dich behalten“.

Borschtsch ist russisch, du ungebildeter Penner.

„Mach die Kasse auf und rück die Kohle raus, und wir sind hier Ruck-Zuck wieder draußen.“

Im hinteren Teil des Ladens, da wo die Körperpflege- und Wellnessartikel in den Regalen gestapelt lagen, war ein Rascheln zu hören, wie von einer Plastikverpackung, das die Aufmerksamkeit des Eindringlings erregte. Dworski fielen sofort die Frau und das Kind ein, die irgendwo dort hinten sein mussten. Die Waffe immer noch auf Dworski gerichtet, machte sich der Räuber, rückwärts einen Schritt nach dem anderen hinter sich setzend, auf den Weg in die Richtung, aus der das Geräusch gekommen war.



Daniel Miller hatte sich auf den Weg gemacht. Noch immer machte ihm die Vorstellung Angst, was ihn da draußen erwarten würde. Aber nun hatte er ein Mittel in der Hand bzw. in seiner Manteltasche, das ihn vor der Welt da draußen schützen konnte. Andererseits – wer oder was würde nun die Welt vor ihm schützen?

Es war ein merkwürdiges Gefühl wieder draußen zu sein. Nach und nach kamen ihm die Eindrücke, die er sammelte, bekannt vor. Er hatte sich noch nicht allzu weit von der Heimat entfernt; schlurfte die Central Park West entlang bis er die Columbus Ave erreichte. Die Umhängetasche hatte er mitsamt ihres restlichen Inhalts, den er noch nicht weiter untersucht hatte, über seine rechte Schulter gehängt. Die Glock, die er, ebenfalls auf der rechten Seite in seiner Manteltasche verstaut, mit der Hand fest umklammert hielt, gab ihm ein gewisses Gefühl von Macht. Er war keiner, den man rumschubsen konnte. Er war gerade in die Columbus Ave eingebogen, als er den Mann vor dem Geschäft stehen sah.

Dworski & son. Wer gab einem Geschäft in diesem Jahrhundert noch einen solchen Namen? Aber dieser Gedanke war sekundär. Im Vordergrund stand die Erkenntnis, dass der Typ, der da vor dem Laden herumlungerte und der nur unwesentlich weniger schäbig gekleidet war als er selber, sich seltsam verdächtig verhielt. Er schien nervös zu sein und blickte sich fortwährend nach allen Seiten um. Aber sein Hauptaugenmerk richtete sich ganz offensichtlich auf das Ladeninnere.

Miller spürte, wie sich jeder Muskel in seinem Körper spannte. Ganz klar: da war irgendwas im Busch. Und noch bevor Miller diesen Gedanken ins Reich seiner eigenen Paranoia verweisen konnte, hatte der Kerl sich eine Maske über das Gesicht gestreift und betrat den Laden.



Fortsetzung folgt...


Sämtliche Rechte an „Miller goes shopping“ liegen bei Nick Evans




vip

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